„Wir haben nun endlich ein D e u t s c h österreich, aber mit der Reinigung der Beamtenschaft von tschechischen, polnischen und welschen Elementen sieht es immer noch sehr schlimm aus. Es liegt uns eine Zuschrift aus Linz vor, welche sich mit dort herrschenden Verhältnissen beschäftigt. Abgesehen von den ungezählten Post- und Bahnwenzeln, welche jetzt auf einmal als gute Deutsche sich auftun und von nationalgleichgültigen Vorgesetzten als deutschgesinnt bezeichnet werden, sitzen speziell bei der Landesregierung (der früheren Statthalterei) Linz noch eine Reihe von Tschechoslowaken herum.“ Das schrieb die konservative, katholische „Salzburger Chronik für Stadt und Land“ vom 16.1.1919 und nannte sogar Namen von mutmaßlich tschechoslowakischen Beamten.

Was hat es mit diesen Postwenzeln auf sich? Wenz(e)l ist ja schon seit langem ein Stereotyp für Böhmen und Tschechen (unter diesem Wikipedia-Link findet man auch einige Karikaturen), wohl auf den heiligen Václav zurückgehend. Die Post kam auf den Wenzel in der Person von Wenz(e)l Schmidl (1783-1857), einem Fabrikanten und Postmeister, der große Verdienste im böhmischen Postwesen erworben hat. Das österreichische bibliographische Lexikon weiß, dass er für diese Verdienste den Spitznamen „Postwenzel“ erhielt.

Mit dem Ausbau und der Verstaatlichung des Post- und Eisenbahnwesens wuchs die Zahl der öffentlich Bediensteten. Der Jurist und Politiker Josef Redlich sah in dieser Entwicklung eine Gefährdung des traditionellen josephinischen Beamtentums, dem „durch die Verstaatlichung des Eisenbahnwesens, die Ausdehnung des modernen Postwesens sowie die vielen anderen neuen technischen Dienstzweige der riesige Annex einer subalternen Massenbeamtenschaft zugewachsen war, das keinen rechten Zusammenhang mit jener alten konservativen Tradition besitzen konnte.“ Diese Massenbeamten waren nicht nur dem gewerkschaftlichen Gedanken zugetan, sondern zeichneten auch für das „Eindringens des Geistes der nationalen Kräfte in das innere Gefüge der Beamtenschaft“ verantwortlich, so Redlich rückblickend  im Jahr 1925.

Unter diesen neuen Beamten waren zeitweise viele Tschechen, so behaupten jedenfalls zeitgenössische Kommentatoren, insbesondere unter der Ägide des tschechischen Handelsministers Josef Fořt: „Wie uns mitgeteilt wird, wurden in der Aera des tschechischen Handelsministeriums die tschechischen Beamten für die Post und besonders das Postsparkassenamt waggonweise nach Wien importiert. Die Tschechen in ganz Oesterreich, besonders in Böhmen und Mähren legten rudelweise die Maturitätsprüfung ab und kamen alle durch und mit dem noch nassen Maturitätszeugnis nach Wien zur Post und zum Postsparkassenamte, wo die Stellen schon auf sie warteten. Der tschechische Handelsminister machte das Wort vom ‚Postwenzel“ zur vollsten Wahrheit.“

Die Postwenzel fielen nicht nur durch ihre Zahl auf, es wurde ihnen auch nationalistisch motivierte Kleinlichkeit unterstellt, etwa das Ausbessern der deutschsprachigen Schreibweise eines Ortsnamens auf die tschechische. Sie überlebten auch das Ende der Monarchie, wie der eingangs zitierte Zeitungsartikel belegt, ja sie mussten nicht einmal böhmisch sein: Im Jahr 1921 berichtet die Kärntner Zeitung „Freie Stimmen“:

„Die Postverwaltung des Königreiches SHS hat mitgeteilt, daß Postsendungen nach Jugoslawien, die die Ortsbezeichnung in deutscher Sprache tragen, wohl unbehindert weitergeleitet und zugestellt werden, daß es sich jedoch empfiehlt, um Fehlleitungen oder Verspätungen zu vermeiden, derlei Postsendungen tunlichst mit der gegenwärtig gebräuchlichen Ortsbezeichnung zu versehen. –  Darauf wäre der Postverwaltung des Königreiches SHS mitzuteilen, daß es sich empfiehlt, den von Jugoslawien widerrechtlich geraubten deutschen Städten, Märkten und Orten wie Marburg, Cilli, Windisch-Feistritz, Unterdrauburg, Gutenstein, Mieß, Schwarzenbach usw. ihre angestammten deutschen Namen zu belassen und uns Deutsche in Deutschösterreich mit der Zumutung zu verschonen, daß wir den jugoslawischen Postwenzeln zuliebe uns die Zunge auskegeln oder die Feder ‚zersprageln‘ sollen.“

Was aber wurde aus den Linzer Beamten, die in der „Salzburger Chronik“ so vorgeführt wurden? Einer von ihnen, der im Artikel als „Ultratscheche“ bezeichnete Kanzleioffizial Alois Nozicka, wurde von der Landesregierung aufgefordert, seine Zugehörigkeit zur deutschen Nationalität schriftlich darzulegen, auf dass er im österreichischen Staatsdienst bleiben dürfe. Er schrieb daraufhin:

„Dem Vernehmen nach droht mir in kurzer Zeit die amtswegige Versetzung in den dauernden Ruhestand, trotzdem ich erst 32 ½ effektive Dienstjahre habe. Eine solche Maßregel würde mich schwer schädigen, ja möglicherweise die Zukunft meiner Familie ganz vernichten. – Seit dem Jahr 1901 bin ich als Staatsbeamter in Ober-Österreich angestellt, meine Kinder, 1 Sohn und 1 Tochter, sind in Oberösterreich geboren und ausschließlich deutsche Erziehung genossen.

Mein Sohn ist 16 ½ Jahre alt und besucht er die 6. Klasse des Staatsrealgymnasiums, die Tochter ist 15 ½ Jahre alt und besucht die 5. Mädchenlyzealklasse in Linz, für welche ich 22 K 50 h monatliche an Schulgeld zahlen muss.

Ich habe mich jeder Zeit als österreichischer Staatsbeamte gefühlt, mich von jeder Politik fern gehalten, einzig und allein mich bestrebt meinen Dienst zu machen; es ist mir nie eingefallen mich als Tscheche zu zeigen, was sicherlich alle, die mich kennen, bezeugen werden.

Ich habe auch meine Kinder in österreichischem Geiste erzogen und ihnen ins Herz gepflanzt, daß wir hier im Deutschen uns als Deutschösterreicher fühlen müssen und mit Stolz fühlen können; bei der Volkszählung im Jahr 1910 habe ich als meine Umgangssprache die deutsche angegeben, wie es den tatsächlichen Verhältnissen entspricht. Daß ich meinen väterlichen Namen, der tschechischen Ursprungs ist, bisher nicht abgelegt habe, kann mir doch nicht zum Vorwurfe gemacht werden, da doch nicht der Name, sondern die Gesinnung des Menschen für seine Volkszugehörigkeit entscheidend ist. Haben doch sehr gute deutsche Führer solche Namen getragen. Wenn ich nun meines tschechischen Namens wegen vorzeitig pensioniert werden sollte, so würden meine Pensionsbezüge so gering ausfallen, daß es mir nicht möglich wäre, bei den Teuerungsverhältnissen meine Kinder in den Schulen zu belassen. Eine Auswanderung ins Tschechische ist mir aber auch nicht möglich, da meine Kinder gar nicht tschechisch können und im Tschechischen deswegen als Deutsche angefeindet würden.

Wie auch aus meinen Zeugnissen zu ersehen ist, habe ich gleich nach dem tschechischen Gymnasialstudium die deutsche Handelslehranstalt in Brünn besucht und bessere Fortschritte in dieser deutschen Lehranstalt gemacht, als in der böhmischen Schule; nach Absolvierung dieser Anstalt habe ich immer deutsche Anstellungen angestrebt, so in der Glasfabrik in Bürmoos bei Salzburg, in einem Kaufmanngeschäft in Namiest, wo Deutsch Umgangssprache gebraucht wurde. Denn wenn ich schon damals die Neigung zum Tschechischen gehabt hätte, so hätte ich mir tschechische Anstellungsposten wählen können. Es ist dies ein Beweis daß ich damals, trotzdem der tschechischen Propaganda mit allen möglichen Mitteln die jungen Leute für die tschechische Nation zu gewinnen versuchte, mich zum deutschen Volke hingezogen fühlte.“

Abschließend ersuchte er um Rücksendung seines Taufscheins, da er die Änderung seines Namens anstrebte. Tatsächlich konnte man in einer Zeitungsnotiz der Linzer Tages-Post vom 4. Juni 1919, dass „dem Offizial Herrn Alois Nozicka in Linz die Aenderung seines Namens in ‚Losert‘ bewilligt“ wurde. Der Offizial Alois Losert avancierte in den kommenden Jahrzehnten zum Hilfsämterdirektor. Ob die Namensänderung dafür entscheidend war, lässt sich nicht feststellen. Aber man erkennt, zu welchen Schritten Menschen bereit waren um als „deutsch genug“ für den österreichischen Staatsdienst durchzugehen.

Verwendete Quellen:

Josef Redlich. Österreichische Regierung und Verwaltung im Weltkriege. Wien 1925.

Jozo Džambo, Die Slawen – deutsche und österreichische Zerrbilder, in: Peter Becher, Jozo Džambo (Hg,), Gleiche Bilder, gleiche Worte. Österreicher und Tschechen in der Karikatur (1848–1948), München 1997.

Dr. A.G., Tschechische Realpolitik, Wiener Montags-Post, 2. Dezember 1907, S. 1-2

Die Reinigung der deutsch-österreichischen Beamtenschaft, Salzburger Chronik für Stadt und Land, 16.1.1919, S. 2

Der Jugoslawische Postwenzel, Freie Stimmen, 16 September 1921, S. 3

Oberösterreichisches Landesarchiv, Staatliche Verwaltung / Statthalterei 1850–1926 Präsidium, box 584, Personalsachen 1918 Teil II (Signatur 15 C 1), Deklarationen von Staatsbediensteten, Nozicka.

Ausführlicher zu Postwenzeln und darüber hinaus: Therese Garstenauer, Unravelling Multinational Legacies: National Affiliations of Government Employees in Post-Habsburg Austria, in: Johanna Chovanec/Olof Heilo (Hg.), Narrated Empires. Perceptions of Late Habsburg and Ottoman Multinationalism, London 2021, 213 – 236.