Im Rahmen meiner Beschäftigung mit standesgemäßer Lebensführung von Beamtinnen und Beamten sind auch Biographien und Autobiographien eine wichtige Quelle. Dieser Tage habe ich in einem Antiquariat einen – vermutlich – autobiographischen Roman mit dem Titel „Der Beamte Kratt. Lebenslauf eines Eisenbahnbeamten“ (Wien: Mohr 1948) von Rudolf Schublach entdeckt. Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich Leopold Kraft, geboren 1879 in Baden.[1] Tatsächlich gab es einen Eisenbahnrevidenten dieses Namens (der, wie die Mödlinger Zeitung vom 18. Mai 1913 belegt, genau wie der Romanheld in einer Bahnbeamtenorganisation aktiv wurde). Er scheint in den Beständen des österreichischen Staatsarchivs bei der Beschwerdekommission nach § 7 Verbotsgesetz auf.

Bei der Lektüre dieses Buchs ist mir ein Thema aufgefallen, das ich auch schon aus anderen autobiographischen Schriften von Beamten kenne: die Zähmung von Vorgesetzten. Es macht den Eindruck als wäre das ein unerlässlicher Schritt in einer solchen Heldengeschichte (denn das sind sie letztlich), kein Wunder, haben wir es doch mit einem sehr hierarchisch strukturierten Umfeld zu tun. Die Helden des öffentlichen Dienstes weisen ihre Vorgesetzten, besonders wenn diese sich unkorrekt oder übergriffig verhalten, in die Schranken und vergessen auch nicht darauf hinzuweisen, dass sie (die Helden) sich insofern von ihren Kollegen abheben, die sich so etwas entweder nicht trauen oder gar nicht erst auf die Idee kommen, dass man die bestehenden Verhältnisse auch nur marginal in Frage stellen könnte.

Der junge Beamte Fritz Kratt also, der sich nach der Matura eigentlich nur pro forma erkundigen wollte, ob es bei der Südbahn eventuell Arbeit für ihn gebe, wird sogleich engagiert und beginnt seinen Dienst in Mürzzuschlag[2] mit den besten Vorsätzen: „Er will offen und ehrlich sein, vor niemandem kriechen, keinem schmeicheln, niemals sich dümmer stellen als der Höhere oder Vorgesetzte etwa ist, sich nichts gefallen lassen, sich durch fleißige, gründliche Arbeit Ansehen verschaffen.“ (Kratt, 25) Zweckdienliches hat er auch in seiner Militärzeit gelernt: „Fritz Kratt bittet nicht, er hat seinen Batteriekommandanten einmal sagen hören, wer bittet, bekunde Schwäche.“ (Kratt 16).

Kratts Vorgesetzter hat manche unliebsame Eigenheiten. So behielt er die Kiste exquisiter Zigarren, welche die Ingenieursabteilung jedes Jahr vor Weihnachten von einer Holzfirma erhielt, für sich statt sie gerecht zu verteilen.

„Oberingenieur Lachs kommt mit brennender Zigarre in das große Zimmer. Sie duftet herrlich, die Zigarre, schneeweiß ist die Asche. Kratt steht auf, sieht wohlgefällig auf den kleinen Lachs herunter und sagt freundlich: ‚Herr Oberingenieur, wenn Sie die Weihnachtszigarren der Holzfirma Lackner verteilen, dann bitte mir von dieser Sorte soviel als möglich.‘ Peter Bodner schaut entsetzt auf den jungen Herrn, der Eleba grinst, im Hintergrund steht der blöde Poschacher, der Chef ist aber nach diesen Worten blitzschnell, wie ein erschrecktes Mäuslein, in seinem Kabinett verschwunden. ‚Jetzt überlegt er‘, murmelt Kratt, ‚aber das Ergebnis ist klar, die Angst ist größer als der Egoismus.‘ Eine Stunde später erscheint der Vorstand mit sorgenvoller Miene, der innere Kampf ist beendet, die Angst hat gesiegt, er legt zunächst dem Eleba ungefähr vier Dutzend schöner, dicker Zigarren auf den Tisch und spricht, einen Seufzer unterdrückend: ‚Eine Aufmerksamkeit von der Firma Lackner.‘ Jeder erhält seinen Teil.“

 

In einer etwas bekannteren literarischen Beamtenautobiographie, nämlich Friedrich F. G. Kleinwächters „Fröhlichem Präsidialisten“ (Wien: Amandus 1947) liest sich das am Beispiel des Sektionschefs Dr. Kasimir Ritter von Junosza-Galecki, der ein weit mächtigeres Gegenüber darstellte als der Vorgesetzte Kratts, so:

„Galecki behandelte die ihm unterstellten Beamten als ‚seine‘ Beamten, sprach mit ihnen wie ein Herrschaftsbesitzer mit seinem Förster.“ Er hielt sich nicht an Amtsstunden, so Kleinwächter, verbrachte die Vormittage lieber damit, polnische Kollegen zu treffen. Dafür verlangte er, dass „seine“ Beamten auch abends um acht Uhr verfügbar waren. Kleinwächter war das nicht recht: „Für mich war der Sektionschef der Vorgesetzte, dem ich im dienstlichen Verkehr mich selbstverständlich unterzuordnen und mit dem gebührenden Respekt zu begegnen hatte. Im übrigen waren wir aber beide Diener des Staates und des Kaisers, er ein Herr und ich auch einer.“ Also war Kleinwächter am Abend nicht im Amt anzutreffen und wurde infolgedessen zum Sektionschef gerufen: „‘Ich habe Sie gestern rufen lassen‘, erwiderte er in gereiztem Ton. ‚Aber Sie waren nicht da.‘ ‚Jawohl, Herr Sektionschef. Ich war gestern abends vergeben.‘ […] Ich wünschte einen Verweis geradezu herbei, denn sein Benehmen gegen die Herren des Departements giftete mich. Ich war geladen wie eine Kanone und sprungbereit wie ein Tiger. Das scheint er gefühlt zu haben, denn die Wolken verschwanden aus seinem Antlitz und wichen einer verlegen-freundlichen Miene. Liebenswürdig bot er mir Platz an. Dann sprachen wir über einen Akt, als ob nichts vorgefallen wäre. Ich hatte gesiegt.“ Von da an wurde immer vorher angekündigt, wenn die Anwesenheit Kleinwächters nach den üblichen Amtsstunden erforderlich war.

Zu einer anderen Gelegenheit trafen sich die beiden Herren auf der Straße und der Sektionschef lud den Untergebenen ein, ihn zu begleiten. Als sie an einer Trafik vorbeikamen wies Galecki mit der Hand auf den Laden und sagte zu Kleinwächter: „Holen Sie mir ein Abendblatt!“. Dieser tat wie ihm geheißen, kaufte dabei gleich zwei Exemplare: „Ich erledigte dieses Geschäft möglichst langsam, damit er eine Weile warten müsse. Als ich herauskam, gab ich ihm das eine Exemplar. Das andere faltete ich möglichst umständlich und steckte es ein. ‚Was bin ich schuldig?‘ fragte er. ‚Nichts, Herr Sektionschef!‘ erwiderte ich. ‚Es ist mir ein Vergnügen, Ihnen ein Abendblatt schenken zu dürfen.‘ Er verstand und schwieg eine Weile. Dann fing er in den liebenswürdigsten Formen eine allgemeine Konversation an, auf die ich ebenso liebenswürdig einging.“ (Präsidialist, 100f).

Hier wird nach allen Regeln der Kunst vorgegangen: Situationen werden umgedeutet („Framing“ würde man das wohl heute nennen), Techniken der Statushöheren werden angewendet (z.B. andere warten lassen). Es ist ein Machtkampf, der offenbar gerade bei der Etablierung der Statusverhältnisse zwischen einander neu Kennenlernenden unumgänglich ist.

[1] Peter Schuster, Wiener Neustädter Lesebuch: Literatur aus acht Jahrhunderten, Wiener Neustadt 1984, 460.

[2] Mir ist bewusst, dass zum Zeitpunkt, an dem diese Episode spielt, die Südbahn noch nicht verstaatlicht war, das geschah erst 1923.