Ein Kapitel meiner Habilitationsschrift wird der Beamtenbewegung gewidmet sein, also den Aktivitäten unterschiedlicher Protagonist*innen und Organisationen der öffentlich Bediensteten, die sich für deren berufliche Interessen einsetzten.*) Beamtenorganisationen gab es seit den 1860er Jahren, z.B. den 1864 gegründeten Ersten allgemeinen Beamten-Verein der österreichisch-ungarischen Monarchie. Beamte hatten wie andere Staatsbürger*innen das verfassungsgemäß seit 1867 verbriefte Recht auf freie Meinungsäußerung, Koalitions- und Versammlungsfreiheit, de facto war es aber nicht gern gesehen, wenn Beamte für ihre Rechte eintraten. Sie könnten dabei das Amtsgeheimnis verletzen, wurde argumentiert. Sie engagierten sich dennoch, auch wenn als Konsequenz disziplinarrechtliche Verfolgung drohte.

In der Ersten Republik gab es solche Einschränkungen nicht mehr, dafür jede Menge Gründe, sich zu organisieren: die Folgen der Hyperinflation, der Beamtenabbau, die prekäre Situation der Staatspensionisten und anderes mehr. Es gab in der Ersten Republik keine gesetzlich legitimierte Standesvertretung, aber immerhin Koalitionen aus Organisationen unterschiedlicher politischer Ausrichtungen, mit denen die Regierung verhandelte. Die am längsten bestehende war der so genannte Fünfundzwanziger Ausschuss, der seinen Namen daher hatte, dass er aus eben so vielen Mitglieder bestand. Vertreten waren der dezidiert überparteiliche Reichsverband der öffentlich Angestellten, der sozialdemokratische Bund der öffentlichen Angestellten, die Gewerkschaft christlicher Angestellter in öffentlichen Diensten, der großdeutsche „Deutsche Beamtenverband“ sowie Organisationen der Sicherheitsexekutive, des Heers, der Staatsarbeiter und der Mittelschullehrer. Dieser Fünfundzwanziger Ausschuss war notorisch zerstritten und erfolglos und dementsprechend unbeliebt bei den öffentlich Angestellten, deren Interessen er vertrat. Nichtsdestotrotz war er von 1924 bis in die frühen 1930er Jahre hinein der exklusive Verhandlungspartner in vorgewerkschaftlichen Zeiten.**)

Eine Denkschrift dieses Ausschusses aus dem Jahr 1925***) ist mir ins Auge gefallen, weil hier eine interessante Argumentation verwendet wird. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Beamtenbewegung damit argumentierte, dass den öffentlich Bediensteten buchstäblich das nackte Überleben gesichert werden müsse, dass es ihnen besonders schlecht ergehe. In der besagten Denkschrift (DS) wird dagegen besonders herausgehoben, was der österreichische Staat an seinen Beamten****) eigentlich hat.

„Die Integrität der Beamten ist eine starke Aktivpost der österreichischen Republik. An die Hingabe und das Pflichtgefühl der Beamten treten im Zeitpunkte von Aenderungen in der Verwaltung im Sinne von Vereinfachungen und Verbesserungen erhöhte Ansprüche.“ (DS 3)

Darüber hinaus unterstreicht die Denkschrift, dass die öffentlich Bediensteten eine beträchtliche Gruppe auch als Konsumenten**** eine Rolle spielt. Wenn sie zuwenig verdienen, um einkaufen zu können, so schade das der Volkswirtschaft. Als wiederholtes Argument wird schließlich der kulturelle Beitrag der Beamtenschaft ins Treffen geführt:

„Die Beamten gehören zu jenen Bevölkerungsschichten, die Wert darauf legen, ihre Kinder zu tüchtigen Mitgliedern der großen Arbeitsgemeinschaft in der Familie der Völker zu erziehen.“ (DS 3)

 

„Der Beamtenstand war in Altösterreich vielfach dadurch ausgezeichnet, daß er trotz aller wirtschaftlichen Beengtheit als ein bedeutsames Kulturelement gewertet werden konnte. Viele Vertreter der österreichischen Kunst und Literatur, so zum Beispiel Grillparzer, Bauernfeld, Anzengruber, um nur einige Namen zu nennen, sind Beamte gewesen oder aus Beamtenfamilien hervorgegangen. Man brachte noch immer die Mittel für ein gutes Buch, für die Pflege der Musik und wohl auch fir den Besuch eines Theaters auf. Als selbstverständlich galt es, den Kindern eine gute Erziehung und Ausbildung angedeihen zu lassen. Die Beamtenfamilie barg in sich ein bescheidenes Stück deutschen Kulturlebens. Von ihr gingen Anregungen und Belehrungen aus, und so war der Beamte nicht nur ‚Beamter‘, sondern auch außerhalb des Amtes Kulturträger.“ (DS 17f)

Diese Funktion war, so die Denkschrift, durch die wirtschaftlichen Entwicklungen in der Ersten Republik gefährdet. Dabei seien die Forderungen der organisierten Beamten keinesfalls egoistisch gedacht:

„So ist die Beamtenfrage kein Sonderproblem einer Kaste, sondern eine Frage, die mit dem Gedeihen unserer Volkswirtschaft und unserer Kultur im Zusamenhange [sic!] steht. Wir verlangen nicht mehr, als daß für die öffentlich Angestellten die wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben werden, restlos ihrem Volke zu dienen und dabei mitzuwirken, daß Oesterreich kulturell und zivilisatorisch ein wertvolles Glied in der großen Familie der Völker bleibt.“ (DS 18)

 

Denn: „In seiner Beamtenschaft besitzt Österreich ein kostbares Gut. Es muß Aller Sorge sein, daß dieses Gut nicht Schaden leide.“ (DS 3)

 

*) Die Aktivistinnen und Aktivisten der 1920er und 30er Jahre bezeichneten sich selbst als Bewegung, und das taten auch ihre zeitgenössischen Chronisten. Legt man die Kriterien moderner Sozialwissenschaften an, so kann man ebenfalls mit einiger Berechtigung von einer sozialen Bewegung sprechen. Charles Tilly legt etwa eine vierteilige Definition vor, der zufolge eine soziale Bewegung sich durch öffentliche Zurschaustellung von WUNC (worthiness, unity, numbers, and commitment – dh werthaltige Behauptungen, Einigkeit, eine ausreichende Anzahl von Mitstreiter*innen und entsprechendes Engagement) auszeichnet. Darüber hinaus muss auch noch eine gewisse Dauer und ein Repertoire an öffentlichen Aktionsformen (Demonstrationen, Versammlungen…) gegeben sein. Bis auf die Einigkeit, die im politischen Hick-Hack zwischen den Beamtenorganisationen oftmals auf der Strecke blieb, erfüllte die Beamtenbewegung diese Vorgaben.

**) Eine Gewerkschaft im eigentlichen Sinne wurde erst in der Zweiten Republik gegründet. Im Ständestaat hatten die öffentlich Bediensteten mit der Bundesbeamtenkammer und den nachgeordneten Kameradschaften wohl eine offizielle Standesvertretung, diese ermöglichte aber keine demokratische Mitbestimmung.

***) Verfasser der Schrift war Hofrat Dr. Adolf Leth, zu diesem Zeitpunkt bereits im Ruhestand nach seiner Tätigkeit als im Pressedienst des Ministerratspräsidiums. Er war christlicher Gewerkschafter und Vorsitzender des Fünfundzwanzigerausschusses bis zu seinem Tod am 10. September 1925.

****) Beamtinnen sind in der Denkschrift allenfalls mitgemeint. Immerhin konnten Frauen seit der Einführung des Pragmatisierungsgesetzes 1919 auch verbeamtet werden, zuvor waren sie in aller Regel subalterne Kanzleiangestellte.

Literatur:

Otto Ender, Die Neue Österreichische Verfassung. Mit dem Text des Konkordates. Eingeleitet und erläutert von Bundesminister Dr. O. Ender, Wien/Leipzig 1934.

Hans Naderer, Geschichte der österreichischen Beamtenbewegung unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Besoldungsverhältnisse von den ersten Anfängen bis zum Jahr 1914, in:  Jahrbuch der Österreichischen Beamtenschaft 1/1927, 17 – 43.

Ders., Geschichte der österreichischen Beamtenbewegung unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der Besoldungsverhältnisse vom Jahre 1914 bis zur Schaffung des Besoldungsgesetzes im Jahre 1921, in: Jahrbuch der Österreichischen Beamtenschaft 2/1928, 11 – 55.

Charles Tilly, Lesley J. Wood, Social Movements as Politics, in: Tilly, Charles, Castañeda, Ernesto; Wood, Lesley J. (Hg.); Social Movements 1768-2018, New York/London 2020, 3 – 17.