Dem Zollwachoberkommissär Heinrich R. wurden unterschiedliche Dienstvergehen zum Vorwurf gemacht: Er sei zu wiederholten Malen betrunken im Dienst erschienen, habe geduldet, dass ein übel beleumundeter Bursche in seinem Haus ein und ausgeht, und zudem Zollzahlungsmarken vorschriftswidrig gelöst und ausgefolgt. In erster Instanz wurden diese Vergehen mit der Disziplinarstrafe der Versetzung in den dauernden Ruhestand mit um 5 % vermindertem Ruhegenuss für die Dauer von 2 Jahren geahndet. Nach der Berufung, der teilweise stattgegeben wurde, blieben nur die Vorwürfe bezüglich Trunkenheit im Dienst und die schlampige Verzollung eines Pakets. Die Strafe wurde auf eine Minderung der Aktivbezüge um 5 % für die Dauer eines Jahres abgeändert.

In der Äußerung des Referenten der Disziplinaroberkommission beim Bundesministerium für Finanzen (man beachte die sparsame Verwendung von Drucksorten, siehe Bild!) wird bemerkt: „Gleichzeitig wurde zur Anzeige gebracht, daß ein junger, wegen Diebstahls wiederholt abgestrafter, übelbeleumundeter Bursche, namens H[…], der von den übrigen Leuten gemieden werde, freundschaftlich bei R[…], mit dessen Frau H[…] Beziehungen angeknüpft habe, verkehre. Als Illustrationsfaktum über die Zustände im Hause R[…]s wurde noch beigefügt, daß R[…]s noch nicht 15jähriger Sohn wegen eines Sittlichkeitsverbrechens an einem sechsjährigen Mädchen in strafgerichtlicher Untersuchung stehe.“

Soweit die außerdienstlichen Umstände, die im Rahmen des Disziplinarverfahrens ins Treffen geführt wurden. Doch der Beschuldigte ließ das nicht einfach so stehen:

„R[…] gab bei seiner Einvernahme seine häufige Trunkenheit unumwunden zu, doch sei er nur durch die fortgesetzten Sekkaturen seines Hausherrn zum Trinker geworden. Sein Familienleben sei reine Privatsache.“ (Hervorhebung von mir)

Was an dieser Episode auffällt ist, dass der Beschuldigte die Verquickung zwischen dienstlichem und privatem Leben, die für den Beamtenstand doch so charakteristisch ist, nicht einfach hinnimmt. Wenn auch in § 24 der Dienstpragmatik geschrieben steht: „Der Beamte hat in und außer Dienst das Standesansehen zu wahren, sich stets im Einklang mit den Anforderungen der Disziplin zu verhalten und alles zu vermeiden, was die Achtung und das Vertrauen, die seine Stellung erfordert, schmälern könnte“, so pocht Heinrich R. doch darauf, dass sein Familienleben reine Privatsache sei. Darf ein Beamter denn das? Man könnte hier einen Anflug von Eigensinn (wie von Alf Lüdtke ausgearbeitet) orten. Tatsächlich waren die privaten Lebensumstände dann nicht weiter Gegenstand des zweitinstanzlichen Verfahrens.

Quelle: Österreichisches Staatsarchiv, Archiv der Republik, Bundesministerium für Finanzen, 1. Republik, Disziplinaroberkommission, Karton 8 (1922/23), Zl. 12 ex 1923.