Über Beamte zu forschen hat etwas Schrulliges. In dieser neuen Serie im Blog bringe ich Gründe, warum es auch relevant ist, dieses Forschungsprojekt durchzuführen:

 

 

  1. Es gibt noch keine umfassende Sozial- und Kulturgeschichte der Staatsbediensteten in der Zwischenkriegszeit. Was es bereits gibt, sind Monographien über Beamte in der Habsburgermonarchie (1), Überblicksartikel (2), Forschungen über (3) und Autobiographien von (4) Spitzenbeamten sowie die eine oder andere unveröffentlichte Qualifikationsarbeit zu Einzelaspekten (5).
  2. Staatsbedienstete waren eine vielschichtige, gesellschaftlich relevante sozioprofessionelle Gruppe. In meiner Studie sind darin alle Dienstbereiche und Hierarchieebenen des zivilen Staatsdienstes (Bund, Länder, Gemeinden, Post, Bahn, staatliche Betriebe …) eingeschlossen. Durch ihr besonderes Dienstverhältnis repräsentieren sie den Staat. Im Zuge der politischen Umbrüche und wirtschaftlichen Krisen der Zwischenkriegszeit geriet dieses Verhältnis in Unordnung. Darunter litt die Loyalität der Staatsbediensteten zu ihrem Arbeitgeber. Statistische Analysen der Wahlen der späten 1920er und frühen 1930er Jahre haben gezeigt, dass öffentlich Bedienstete einen großen Teil der NSDAP-Wählerschaft ausmachten (6).
  3. Die untersuchten Phänomen weisen teilweise Parallelen zu aktuellen Problemen auf. Internationale Geldgeber, die als Bedingung für Kredite eine Reduktion des Staatsapparates fordern: das betrifft heute Griechenland, in den 1920er Jahren betraf es Österreich. Menschen, die von sozialem und wirtschaftlichem Abstieg betroffen oder bedroht sind, wenden sich rechtsradikalen politischen Gruppen zu (7): was heute in den Medien und in der Forschung erörtert wird, fand auch im Österreich der Zwischenkriegszeit statt.

Wird fortgesetzt…

(1) Deak, John (2015), Forging a Multinational State. State Making in Imperial Austria from the Enlightenment to the First World War, Stanford.

Megner, Karl (1985), Beamte. Wirtschafts- und sozialgeschichtliche Aspekte des k. k. Beamtentums (= Studien zur Geschichte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 21), Wien.

Heindl, Waltraud (1991), Gehorsame Rebellen. Bürokratie und Beamte in Österreich 1780 bis 1848, Wien.

Heindl, Waltraud (2013), Josephinische Mandarine. Bürokratie und Beamte in Österreich, Band 2: 1848 – 1914, Wien.

(2) Heindl, Waltraud (1995), Bürokratie und Beamte, in: Emmerich Tàlos/Herbert Dachs/Ernst Hanisch/Anton Staudinger (Ed.), Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918 – 1933, Wien, 90-104.

Goldinger, Walter (1983), Verwaltung und Bürokratie, in: Erika Weinzierl/Kurt Skalnik (Eds.): Österreich 1918-1938. Geschichte der Ersten Republik. Bd. 1. Graz et al., 195 – 207.

(3) Enderle-Burcel, Gertrude/Michaela Follner (1997), Diener vieler Herren. Biographisches Handbuch der Sektionschefs der Ersten Republik und des Jahres 1945, Wien.

(4) Loewenfeld-Russ, Hans (1986), Im Kampf gegen den Hunger. Aus den Erinnerungen des Staatssekretärs für Volksernährung 1918–1920, Ed. by Isabella Ackerl, Wien.

Schüller, Richard (Jürgen Nautz, Hg.) (1990), Unterhändler des Vertrauens. Aus den nachgelassenen Schriften von Sektionschef Dr. Richard Schüller, Wien.

Robert Ehrhart, Im Dienste des alten Österreich, Wien 1958

(5) Hafner, Herta (1990), Der sozio-ökonomische Wandel der österreichischen Staatsangestellten 1914 – 1924, Unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien.

Sedlak, Eva-Maria (2004), Politische Sanktionen gegen öffentliche Bedienstete im österreichischen „Ständestaat“, Unveröffentlichte Dissertation, Universität Wien.

(6) Hänisch, Dirk (1998), Die österreichischen NSDAP-Wähler. Eine empirische Analyse ihrer politischen Herkunft und ihres Sozialprofils, Wien u.a.

(7)Siehe z.B. Lazaridis, Gabriella/ Campani, Giovanna (2016), Understanding the Populist Shift: Othering in a Europe in Crisis, London/NY