Lehre

Ich weiß, was du getan hast

Wie kann eine Darstellung der Erlebnisse der „willigen Vollstrecker“, ihrer Kinder und Nachkommen aussehen, die sich nicht in Umkehr- und Gleichsetzungsdiskursen verliert?
Von Maria Pohn-Weidinger

Das Gedenkjahr 2005 ermöglichte es den ÖsterreicherInnen, wieder mit gutem Gewissen über ihr eigenes Leid zu sprechen und die mit Waldheim begonnenen Auseinandersetzungen wieder zu relativieren, indem betont wurde, dass auch das Leid auf Seiten derjenigen groß war, die nicht in den Konzentrationslagern umkamen. Endlich konnte alles wieder ins richtige, österreichische Licht gerückt werden. Im Blickfeld stehen jene Bilder von 1945, die vom Leiden der Zivilbevölkerung handeln, dieselben Bilder, die „in der Nachkriegszeit das visuelle Gedächtnis dominiert haben – nicht Bilder, die die Befreiung vom Nationalsozialismus visualisieren“ (Heidemarie Uhl in MALMOE 26)

Die Frage nach dem Wie der Darstellung ist ein zentraler Aspekt in der Diskussion um Gedenkpolitik, Erinnerung, sowie kollektives und individuelles Gedächtnis. In Bezug auf TäterInnen stellt sie sich in besonderem Maße, da sich die Darstellungen meist in Täter-Opfer Umkehrungen oder Gleichsetzungsdiskursen erschöpfen, die sich seit 1945 in den öffentlichen und familiären Diskurs eingeschrieben haben und immer wieder Phasen großen Zuspruches und völliger Akzeptanz erleben. Dies gilt vor allem für die in den letzten Jahren boomenden populärwissenschaftlichen und individuell-familiären Auseinandersetzungen der so genannten Kriegskinder. Die Täter-Opfer Umkehr wird in unzähligen Veröffentlichungen reproduziert und mündet in Publikationen wie „Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen“, deren Zwischentitel „Halb Deutschland vertrieben“ oder „Als Deutschland hungerte“ erahnen lassen, welch vollendeter Opferdiskurs hier zu finden ist, eine Ahnung, die durch Aussagen wie „Kennt sie Familien, die mehr gelitten haben? Nein.“ bestätigt wird. Wohl zur eigenen Beruhigung und um sich gegen allfällige (aber ohnehin ausbleibende) Kritik zu wappnen, formuliert die Autorin zu Beginn des Buches den Wunsch, als Kriegskind endlich das jahrzehntelange Schweigegebot zu durchbrechen, ohne dabei beschuldigt zu werden, das Leid von Juden und Jüdinnen oder anderer Opfer des Nationalsozialismus nicht anzuerkennen. So werden „die Anderen“ zu Beginn noch erwähnt, wird ihnen ein „anerkannter“ Platz zu gewiesen; dort sollten sie dann aber auch verweilen, denn nun geht es darum, endlich freies Feld für das Eigene zu haben.

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Mosaik von Geschichten

Es steht außer Frage, dass es eine Sprache für die Leiderfahrungen von Kindern im Krieg zu finden gilt; doch kann dies nicht im Ignorieren der Geschichte der Verfolgten passieren, vor allem nicht unter vollständiger Ausblendung der Involviertheit der eigenen (Täter)Familie sowie der Entwicklungen, die zum Krieg führten. Diese Problematik zeigt sich auch an Publikationen, die einen differenzierten Zugang wählen und sich explizit gegen Täter-Opfer Umkehrungen und Gleichsetzungsdiskurse wenden. So etwa der von Gerhard Botz herausgegebene Band „Schweigen und Reden einer Generation“, in dem Täter- und Opferbiografien dargestellt werden, die (ehemalige) StudentInnen im Rahmen eines Oral History Seminares erarbeitet haben. Abgesehen von dem schon zu problematisierenden Forschungsinteresse, „Täter- und Opferdiskurse zusammenzuführen“, um das „Mosaik von Opfer- und Tätergeschichten“ zu verdichten, ist eine Publikation mit Skepsis zu betrachten, die explizit nicht Mitleid oder Abscheu, sondern das Verstehen zu ihrer Prämisse macht, Täter- und Opfergeschichten neben einander zu stellen, was sich in Bezug auf Täter-Zusammenhänge bei den InterviewerInnen im „Ringen mit sich selbst“ zeige.

Ohne Auseinandersetzung mit diesem „Ringen“ verkommt es zum Pathos über die Großmutter, die SS-Männer bewirtet und Mitleid für die jungen Burschen empfindet, was dazu führt, dass die Enkelin nicht möchte, dass die Großmutter diese Gefühle entwickelt, und am liebsten das „Zeitzeuginnengespräch“ ungeschehen machen möchte, „aber das geht natürlich nicht. Die Erzählung ist da, transkribiert und gespeichert in meinem Computer, gespeichert und festgeschrieben jedoch vor allem in meinem Kopf“.

Bild: Verena Weißenböck

In einem anderen Fall kommt es zum unkommentierten Abdruck eines Gesprächs mit einem ehemaligen SS-Mann, in dem der Großvater auf die Frage des Enkels, wieso er zur SS gegangen sei, wo er doch nicht recht viel gehalten habe auf die Nazi, antwortet: "Hab ja müssen! Hat mi ja der Eigruber dienstverpflichtet g'macht. Hab ja müssen, na da wär i gar o Gott, da wär i net dazugegangen! Na, da hätten's mi net kriegt!" Diesen Tätergeschichten werden ohne erkennbare Logik Geschichten von Überlebenden der Shoah voran- und nachgestellt. So etwa die Geschichte einer Jüdin, welche ihre Tochter nach dem Krieg wieder findet, und die Autorin angesichts der beiden Frauen mit Stolz erfüllt ist, „in die Geschichte dieser Beziehung eingeweiht worden zu sein“.

Der verwendete Pathos dient in beiden Fällen dem Erzeugen einer Emotion, die durchaus den Verdacht erregt, dass hier etwas verschleiert wird. Was dies ist, ist nicht eindeutig, aber es liegt die Vermutung nahe, dass es darum geht, sich nicht den Phantasien zu stellen, die nachfolgende Generationen über die Taten ihrer Eltern und Großeltern ausgestaltet haben. Der Verdrängung dessen, was es heißt, der TäterInnengeneration anzugehören, sich mit den „Taten“ zu konfrontieren und was dies letztendlich für einen selbst bedeutet. Und was das wirklich heißt, ist ein noch offenes Feld.

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Abseits von Pathos

Ein Pathos hingegen, aufgebaut auf dem Anspruch der kritischen wissenschaftlichen Reflexion, lässt diese Reflexion zur Farce werden und versucht, in Bezug auf TäterInnen, auf Nazi-Großväter und -Großmütter Empathie zu erzeugen. Direkt daneben platziert, wirken die Opfergeschichten wie Versuche, über die Empathie für Überlebende auch Empathie für die Täter zu erwirken, ein gewisses Verständnis für ihr Handeln. Dies jedoch erst, nachdem angeklagt und das „Ringen“ vollzogen wurde. Vor allem die Enkelgeneration bemüht sich um diesen Prozess, was üblicherweise positiv hervorgehoben wird. Dies sollte jedoch mit großer Skespis betrachtet werden und im jeden Fall mit der Frage verbunden, ob Verständnis hier der richtige Weg sein kann.

Dass eine Darstellung abseits von Pathos möglich ist, zeigt das Buch „Die Generation danach“ von Margit Reiter, mit dem sie ihre Habilitation einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht, in der sie so genannte „Kinder der Täter“ interviewte. In ihrer Forschungsarbeit zeigt sie die vielfältigen Formen des Umgangs mit dem familiären NS-Erbe auf. Die „Vaterbilder“ und „Mutterbilder“ sind in die aktuellen Diskussionen um Gedächtnis, Erinnerung und Tradierungsmuster eingebettet. Dabei wählt Reiter eine Sprache, die keine eindeutige Identifikation der Leserin zulässt, da sie die Ambivalenzen dieser Bilder benennt. Diese Ambivalenzen ohne jeden Pathos aufzuzeigen, stellt einen zentralen Aspekt im Schreiben und Darstellen von Täter und Täterinnen dar, und zwar stets in klarer Abgrenzung zu den Opfern und immer im Blick haltend, dass unabhängig davon, was TäterInnen erlebt haben, es in jedem Fall aus der NS-Vernichtungspolitik und Kriegspolitik resultiert. Dies gelingt Margit Reiter unter anderem dadurch, dass sie die Phantasien der „Kinder der Täter“, die sie über die „Taten“ der Eltern ausgestaltet haben, immer wieder in den Mittelpunkt rückt und damit auch immer die Geschichte in die Gegenwart holt bzw. die Bedeutung derselben für die gegenwärtigen Auseinandersetzungen.

Dass die Historie – auch die faktische – immer hereingeholt werden muss, zeigt sich etwa in Bezug auf Frauen, oder auf Mütter, wie im vorliegenden Fall. Sowohl im öffentlichen wie im familiären Diskurs werden ihre Erfahrungen vollständig entkontextualisiert, und die Frauen werden schon aufgrund ihres Geschlechts zu Opfern der NS-Zeit erklärt. Der Schritt zur Tabuisierung ihrer Beteiligung vor allem an der „Heimatfront“ ist da leicht gemacht und findet sich gegenwärtig im Bild der „Trümmerfrauen“ wieder, die am Wiederaufbau mitgewirkt haben. Ein Bild, das mittlerweile schon zu einem „Trümmerfrauen“-Mythos geworden ist und regelmäßig revitalisiert wird, zuletzt im Gedenkjahr 2005, als eine symbolische Entschädigungszahlung beschlossen wurde, womit die „Trümmerfrauen“ sozusagen „offiziell“ zu Opfern erklärt wurden.

Margit Reiter gelingt es sowohl in Bezug auf die Väter wie auch auf die Mütter, die vielfältigen Funktionen der Darstellung aufzuzeigen. Dabei benennt sie die über sie entwickelten Phantasien und zeigt die verschiedenen familiären Muster, allen voran die Täter-Opfer Umkehr als Entlastungsstrategie auf. Damit wird nicht zuletzt verdeutlicht, dass die Darstellung von TäterInnen immer in Verbindung mit diesen Entlastungsstrategien gesehen werden muss, da diese den Geschichten und somit den Auseinandersetzungen mit ihnen inhärent sind. Neben der Strategie, TäterInnen zu Opfer zu machen, wäre dies zum Beispiel die unreflektierte philosemitische Identifikation seitens der nachfolgenden Tätergenerationen mit den Überlebenden der Shoah, etwa in Form intensiver Beschäftigung mit dem Judentum und Israel. Dem kommt die Funktion einer „’Wiedergutmachung’ für den elterlichen Antisemitismus“ zu, die, geht sie nicht mit der kritischen Auseinandersetzung mit der (groß-) elterlichen Verstrickung einher, „nichts anderes als ein Versuch (ist), schlicht 'die Seiten zu wechseln' und solcherart aus dem familiären und gesellschaftlichen Schuldzusammenhängen zu entfliehen“.

Maria Pohn-Weidinger


Sabine Bode: Die vergessene Generation. Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen. Piper, München 2005
Margit Reiter: Die Generation danach. Der Nationalsozialismus im Familiengedächtnis. Studien Verlag, Innsbruck/Wien/Bozen 2006
Gerhard Botz (Hg.): Schweigen und Reden einer Generation. Mandelbaum Verlag, Wien 2005

 

Dieser Text ist Teil des Schwerpunktes "Schweigen und Reden", der in MALMOE # 33 (Juli 2006) erschienen ist.

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