Lehre

Macht keinen Blödsinn!

Ideologie, Kalter Krieg und sogar die Geschichte: Allerhand scheint zu Ende gegangen zu sein, in Italien.

Die Frage, ob Italien mit seinem neugewählten Parlament, in dem namentlich keine kommunistische, faschistische, christdemokratische oder liberale Partei mehr vertreten ist, nun im 21. Jahrhundert oder gar in der Postmoderne angekommen ist, sei hier nicht diskutiert. Aber wie die Offenheit zur Richter-Skala und das Schwer-Angeschlagen-Sein zur Alitalia gehört die Beliebigkeit unauflöslich zur Postmoderne, und in den Analysen des Wahlausgangs ist leicht Konsens darüber herzustellen, dass die italienische Steigerung von Politikverdrossenheit, die „Anti-Politik“ ordentlich mitgemischt hat am Ergebnis – jene Anti-Politik, die schon Prodis Sieg vor zwei Jahren zu einem zittrigen gemacht hat und die Toni Negri im MALMOE-Interview für gefährlich hält, weil sie zum „qualunquismo“ führe, ein unübersetzbarer Begriff, in dessen Bedeutung (scheinbar) unideologische Beliebigkeit mitschwingt. (Noch so ein Wort: „intercettare“ heißt gleichermaßen abhören wie auf- und abfangen, und diese Polysemie bringt das Bild abgehörter, umherschwirrender WählerInnenstimmen ganz gut zum Ausdruck, die von Berlusconi, vor allem aber von Bossi „intercettiert“ wurden, wie die Standardfloskel in der Wahlberichterstattung lautet.) Gedenk-Gedanken-Jubiläumsjahre – vor exakt 60 Jahren wurde das erste „echte“ Parlament der italienischen Nachkriegszeit gewählt – verführen zur Epochenkonstruktion, doch die Sprechblase vom Ende der Geschichte kann unschwer zum Platzen gebracht werden, wenn man daran erinnert, dass der Begriff „qualunquismo“ auf eine real existierende Partei der 1940er Jahre zurückgeht, deren Programm durch einen Slogan versinnbildlicht wird, der von Bossi sein könnte: „Lasst uns doch zufrieden!“

Geschichts-Stunde

Dass es zunächst hieß, dass mit dem Aufgehen von Rifondazione Comunista im roten Streifen der Regenbogen-Linken erstmals weder Hammer noch Sichel auf dem Wahlzettel zu finden waren (was aber nicht stimmte, denn die Nervensägen und Spaltprofis von der IV. Internationale haben dann doch dafür gesorgt), wird nun übertroffen von dem Umstand, dass ausgerechnet in Italien keine linke Partei mehr im Parlament vertreten ist (was il manifesto auf die hübsche Schlagzeile „Außerparlamentarische Linke“ brachte). Dieser Umstand markiert sehr wohl das Ende wenn nicht der, so doch einer Geschichte, die man auch mit 1948 beginnen lassen kann, als am legendären Wahltag 18. April eine kommunistisch-sozialistische Einheitsfront der Democrazia Cristiana unterlag, die mit Unterstützung der Kirche (und der Mahnung „Gott sieht dich in der Wahlzelle, Stalin nicht“) eine historische absolute Mehrheit erzielte. Dieser Wahlgang wurde zur Entscheidung zwischen Kommunismus und Okzident stilisiert, er markiert den Beginn des Kalten Krieges auf italienischem Boden, der bald schon zum Schauplatz eines Bürgerkriegs zu werden drohte, als nach einem Anschlag auf Palmiro Togliatti, dem die KPI ihre jahrelange parlamentarische Stärke wesentlich zu verdanken hatte, die Stimmung auf den Straßen und in den Betrieben zu eskalieren drohte. „Macht keinen Blödsinn“ soll Togliatti noch gefleht haben, ehe er schwer verletzt in Ohnmacht fiel.

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Während andernorts der Kalte Krieg heute neu aufgelegt wird (MALMOE berichtete), geht seine Erstfassung in Italien also jetzt erst zu Ende? Möchte man meinen, wenn man den Lega-Mann Maroni am Wahlabend „mit der Zufriedenheit einer Katze, die soeben eine Maus verspeist hat“ (Liberazione), sagen hört, der Fall der Berliner Mauer sei nun endlich in Italien angelangt. Mit dieser Meinung ist er nicht unbedingt alleine, an vielen Stellen ist die Einschätzung zu lesen, die italienische Linke sei 1994 durch den Zusammenbruch der politischen Ordnung im Zuge des Schmiergeldskandals von ihrer Aufarbeitung von 1989 abgelenkt worden und zahle nun den Preis dafür, „ihr ideologisches Erbe nicht rechtzeitig über Bord geworfen zu haben“ (Corriere della sera). Insgesamt – um bei den Jahres-Chiffren zu bleiben – stellt 2008 1994 in den Schatten: Erst jetzt geht die Erste Republik in Italien wirklich zu Ende.

Dass diese Niederlage aus linker Sicht um Häuser eklatanter ist als jene vor 14 Jahren kommt in den Ergebnissen zum Ausdruck, die die offen rassistische Lega Nord in den einstigen linken Hochburgen des Nordens eingefahren hat, der eigentliche Skandal dieses Wahlausgangs (Beispiel gefällig? Chiampo, Metallerstadt bei Vicenza: Lega 41, Linkspartei 0,9 %!). Die Lega wird also auch von ArbeiterInnen gewählt, die in linken Gewerkschaften organisiert sind. „Was soll daran seltsam sein?“, meint einer von ihnen im Interview: „Die Gewerkschaft verschafft uns Verträge, und Bossi sorgt dafür, dass unser Geld im Norden bleibt.“ Auch wenn die Lega also glaubhaft machen will, sie stünde jenseits von links und rechts und sei eine „territoriale Partei“ – sehr unideologisch oder antipolitisch klingt das nicht. Die Lega steht für Xenophobie, Reichtum und Privilegien, und dafür wird sie auch gewählt. Die Klage über die viel zitierte Anti-Politik, die offenbar der Linken schadet und Berlusconi schon wieder nützt, ist nur ein Teil der Geschichte, dessen Dilemma für eine regierungsbeteiligte Linke Fausto Bertinotti – nun scheidender Parlamentspräsident und zurückgetretener Anführer des Regenbogens – zerknirscht auf den Punkt bringt: „Die Linke in der Opposition absorbiert die Systemfeindlichkeit, während sie an der Regierung enttäuscht, und Systemkritik zu Antipolitik wird.“

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Gut für Israel

Apropos Linke an der Regierung, ein Wort: Lechts und rinks sind wie wir wissen in Sachen Antisemitismus am leichtesten zu velwechsern, und wenn vom angeblichen Ende der Ideologien die Rede ist, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass sich etwa der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Roms in einer Stellungnahme erleichtert zeigte, dass nicht nur die Neofaschisten aus dem Parlament verschwunden sind, sondern auch jene linken Parteien, auf deren Demos Israel-Fahnen verbrannt werden. Auf Berlusconis Liste hingegen wurden so prominente Juden wie Alessandro Ruben, Präsident der Anti Defamation League, ins Parlament gewählt.

Der buchstäblich un-verschämte Antisemitismus in (großen Teilen) der italienischen Linken wurde an dieser Stelle schon wiederholt thematisiert (z.B. hier oder hier), und die Prodi-Regierung hat sich in ihrer kurzen Amtszeit diesbezüglich einiges geleistet, von dem Ansinnen, den notorischen Antisemiten Alberto Asor Rosa zum Wissenschaftsminister zu machen, bis zur Haltung einer prekären „Äqui-Nähe“ im Nahostkonflikt, die so aussah, dass sich Außenminister D’Alema Arm in Arm mit Hisbollah-Kämpfern ablichten ließ – während hingegen sein designierter Nachfolger Frattini wesentlichen Anteil daran hatte, dass die EU die Hamas als terroristische Organisation einstuft. Wen wundert da, dass djihadistische Webseiten Berlusconi, dessen erste Auslandsreise als Premier nach Israel führen wird, Allahs Fluch an den Hals wünschen, während das Wahlergebnis in israelischen Medien – von Yedioth Aronoth bis zur Jerusalem Post – vielfach positiv aufgenommen wurde?

Wenn, nein: zumal angesichts der real existierenden Bedrohung des Staates der Shoah-Überlebenden die außenpolitische Leitfrage „Was ist gut für Israel?“ legitim ist, so liegt auf der Hand: Berlusconi ist gut für Israel – ob uns das schmeckt oder nicht.

Was tun?

Die lustigste Zukunftsangst des Wahlabends äußerte Bruno Vespa, so unermüdlicher wie -säglicher Talkmoderator auf RAIUNO: Kommt es jetzt wieder zu politischer Gewalt, wenn die Linke auf der Straße sitzt? Nein, versicherte Bertinotti, denn mit der Linken sei es wie mit dem toten König: Sie lebe hoch! Es gelte jetzt „nur“ noch, sie neu aufzubauen…

Bemerkenswert dabei ist, dass zwei eigentlich konträre Konsequenzen auf paradoxe Weise koexistieren zu können scheinen: Zum einen gelte es dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Gesellschaft sich verändert hat und die Linke den Anschluss an sie verpasst, indem sie an alten Rezepten festhielt. Zum anderen habe man sich zu weit – ausgerechnet! – „von den Fabrikstoren entfernt“ (Bertinotti) und müsse eben dorthin zurückkehren.

Tröstlich jedenfalls die Bilanz des Multituden-Blatts Carta: „Es gibt ein Leben nach der Wahl“. Mal sehen.

 

erschienen in MALMOE # 41 (April 2008)

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