Lehre

Foto: Ingo Lauggas

Verkehrte Welt

Ingo Lauggas über eine sehr italienische Neuerscheinung zu „Israels Ende“

Wer erhält 2006 den meisten Applaus bei einer Kundgebung für Israel in der via Portico d’Ottavia, jenem Ort, von dem aus am 16. Oktober 1943 die Juden und Jüdinnen Roms deportiert wurden, um größtenteils nie mehr wiederzukehren? Der „Salonfaschist“ Gianfranco Fini. Politische Exponenten des linken Lagers sind bei dieser Kundgebung während des Krieges im Libanon nicht zugegen, sie halten ihre Reden, in denen sie die Hisbollah mit Partisanen vergleichen, anderswo. Es ist dies eines von vielen Beispielen, die Furio Colombo, ex Chefredakteur der Unità und Senator der Linksdemokraten in seinem neuen Buch für die Kernaussage anführt, dass Israel von der Linken im Stich gelassen wurde und seine „neuen Freunde“ von der falschen Seite der Geschichte kommen. Der Verlag bewirbt es als neues „J’accuse“ und macht damit den romreisenden MALMOE-Redakteur sogleich auf eine Präsentationsveranstaltung in einem Feltrinelli-Store neugierig, bei der Colombo von einer weiteren Unità-Journalistin flankiert wird, die angibt, Sympathien für ihn und sein Buch zu hegen.

Dass die gleich zu Beginn ihr Recht als Linke betont, an „die Juden“ aufgrund ihrer leidvollen Vergangenheit besondere Ansprüche ethischen politischen Verhaltens zu stellen, legt den Schluss nahe, dass sie das Buch nicht gelesen hat. Denn Colombo präsentiert darin eine Sammlung und Kritik genau solcher Argumentationsmuster, die ihn zu dem Schluss führt, dass Israel von „der Linken“ längst im Stich gelassen wurde, obwohl es doch „Teil ihrer Welt und ihrer Werte“ ist. Colombo – selbst Vorsitzender der „Linken für Israel“ – legt ein engagiertes Plädoyer vor, in dem er die verbreitete ressentimentgeladene Feindschaft gegen Israel mit einer in dieser kompakten Form lesenswerten Medienkritik dokumentiert und mit Argumenten zu bekämpfen versucht, die jedoch stets auf einem sehr journalistischen Niveau der Beschäftigung mit Geschichte und Geopolitik verweilen.

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Colombo in Rom, am 20.9.2007 (Fotos: I.L.)

Mit dem meisten hat er Recht, doch an nur wenigen Stellen ist es originell, wenn er etwa den Zionismus mit dem italienischen Risorgimento vergleicht und Rom – eigentlich nicht unschlüssig – mit Jerusalem. Bemerkenswert daran ist, dass in Italien ein mainstream-linker Sozialdemokrat (der Blair für einen „Leader der europäischen Linken“ hält) einen Text verfasst, wie er hierzulande eher vom leider sektiererischen Rand zu erwarten wäre: er nennt die physische Bedrohung Israels beim Namen und prangert die exzellenten Beziehungen Europas zum Iran an, von dem diese explizit ausgesprochen wird; die Bruchlinie der durch Bushs Politik zweigeteilten Welt verlaufe durch Israel, dem „wahren Feind“ des islamistischen Terrors; in Italien wiederum sei das antiisraelische Ressentiment am schamlosesten, kein anderes europäisches Land war bei Ahmadinejads Karikaturenwettbewerb, bei dem es darum ging, die Shoah zu verleugnen und ihre Opfer zu verhöhnen, so stark vertreten.

Was spätestens an der Stelle dämmert, an der er ausschließlich in einer nie revidierten antizionistischen Sowjetvorgabe die Quelle dieses Übels ortet, macht Colombo bei der Präsentation explizit: Er will nicht über Antisemitismus sprechen, das sei eine zu „schreckliche Antwort“, die er niemals als Argument einsetze. Dass er nach eigenen Angaben noch nie so aggressiv attackiert wurde wie vom Parteinachwuchs im Palästinenserschal und dass Israelfahnen bei Antifa-Demos verbrannt, jüdische Partisanen ausgepfiffen und KZ-Überlebende angegriffen werden (vgl. MALMOE 32), all dies kann er ohne das „schreckliche“ Argument aber kaum erklären. Doch macht sein Innehalten just an dieser Schwelle möglicherweise verständlich, weshalb er in seinem Umfeld zwar nicht weniger einsam als Israel in der Welt ist, aber doch irgendwie geduldet. Er ist ein Held des Anti-Berlusconi-Kampfes, sein pro-israelisches Steckenpferd muss man ihm eben lassen, erklärt man mir: „Er ist ein Jude.“


Furio Colombo: La fine di Israele. il Saggiatore, Mailand 2007

Diese Rezension ist in MALMOE # 39 (Oktober 2007) erschienen.

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