„Die Bedeutung von Nuklearwaffen wird sich verringern“

  • Aufzählung Interview mit dem Sicherheitsexperten Heinz Gärtner.
  • Aufzählung „Größte Gefahr Atombomben in Händen von Terroristen.“

„Wiener Zeitung“: Nach 1945 galt nur als Großmacht, wer über Nuklearwaffen verfügte. Welche politische Bedeutung haben Nuklearwaffen heute für einen Staat?

Heinz Gärtner: Heute sind Nuklearwaffen bestenfalls noch zur Abschreckung vor einem Angriff geeignet, einen anderen Nutzen besitzen sie strategisch nicht mehr. Man kann daher durchaus von einem nuklearen Tabu sprechen.

Früher dagegen galten Nuklearwaffen sehr wohl als Mittel, mit denen man auch einen Krieg führen kann. Noch die Nuklearstrategie von George W. Bush hat in Teilen darauf gefußt. Obama vollzieht hier einen Kurswechsel, indem er Nuklearwaffen nur mehr zum Mittel der Abschreckung erklärt – allerdings mit der Ausnahme von Ländern wie Nordkorea oder Iran. Dieser Schritt ist ein Zeichen dafür, dass sich die Bedeutung von Nuklearwaffen über kurz oder lang verringern wird. Das ist eine klare Abkehr vom kalten Krieg, der noch unter Bush das strategische Denken bestimmte.

Warum streben Nordkorea und Iran nach Atomwaffen? Weil sie sich nur dann vor Angriffen geschützt fühlen?

Der Iran leugnet ja, dass er Nuklearwaffen anstrebt. Grundsätzlich halte ich in beiden Ländern die internen Verhältnisse für ausschlaggebend, um nach Atomwaffen zu streben. Nordkorea hätte durch diese keine zusätzlichen Optionen, weil es sie nicht einsetzen kann. Gegenüber Südkorea hat das Regime längst eine ausreichend konventionelle Abschreckung aufgebaut. Ausschlaggebend ist die interne Rolle des Militärs, die bei der sich abzeichnenden Nachfolge für Diktator Kim Jong-il ihre führende Stellung absichern wollen. Ähnliches gilt für den Iran. Kommt Teheran tatsächlich in den Besitz von Atomwaffen, spricht viel dafür, dass sich die Nachbarn Israel annähern werden, weil diese sich bedroht fühlen. Und auch der Iran könnte die Waffen nicht einsetzen, weil dann nicht nur Israel, sondern auch dessen arabische Nachbarn und vor allem die Palästinenser mitvernichtet würden.

Welche Rolle spielt der Spardruck bei den jüngsten Signalen zur Abrüstung?

Keine, das gilt zumindest für die USA. Washington investiert enorme Summen, um zu erforschen, wie man Atomwaffen effizient abbauen kann. Hinzu kommt, dass Nuklearwaffen sicherlich nicht zu den teuersten Waffengattungen zählen. Die USA haben beispielsweise den Plan eines „Global Prompt Strike“ entwickelt: Mit konventionellen Waffen ließe sich so die halbe Welt zerstören.

Liegt hierin nicht der eigentliche Grund für die gesunkene Bedeutung von Atomwaffen: Dass längst konventionelle Arsenale entwickelt wurden, die über ähnliche Vernichtungskraft verfügen?

Ja, zweifellos. Die USA verfügen über eine eindeutige konventionelle Überlegenheit und können diese in vielen Bereichen auch als Abschreckung einsetzen. Aus diesem Grund haben auch die taktischen Atomwaffen, die in Deutschland und den Benelux-Staaten stationiert sind, keine militärische Bedeutung mehr. Diese werden über kurz oder lang entfernt werden, allerdings nicht unilateral von den USA, sondern im Rahmen der Nato.

Sind nicht Atomwaffen in den Händen von Terroristen die ungleich größere Gefahr?

Das stimmt. Terroristen würden nicht zögern, Nuklearwaffen auch einzusetzen – außer, sie sind eindeutig einem Land zuzuordnen. Diese Frage wird Thema eines Nukleargipfels in eineinhalb Wochen sein. Ziel muss es sein, das international freischwebende Nuklearmaterial zu sichern. Wenn es aufgrund von Abrüstung weniger Atomwaffen gibt, dann verringern sich auch die Möglichkeiten nuklearer Proliferation. Ein neues Start-Abrüstungsabkommen ist deshalb auch ein Signal, dass nicht nur die Nicht-Nuklearstaaten aufgerufen sind, sich für die Nichtweiterverbreitung zu engagieren, sondern dass auch die Großmächte selbst Atomwaffen abbauen. Obamas neue Nuklear-Strategie ist mit diesen Plänen kompatibel – und zwar sehr viel mehr, als viele im Vorfeld zu hoffen wagten.

Wie lässt sich verhindern, dass Atomwaffen in die Hände von Terroristen fallen?

Zunächst einmal muss man feststellen, dass es offensichtlich sehr viel schwieriger ist, als viele vor einigen Jahren befürchteten. Man kommt nicht so leicht an Nuklearmaterial und noch viel schwieriger an waffenfähiges. Die aktuelle Lage eignet sich also nicht für Alarmismus.

Und mit welchen Mitteln lässt sich der Iran doch noch davon abhalten, eine Atombombe zu bauen?

Auch der Iran dürfte noch einen weiten Weg vor sich haben. Dass man ein pakistanisches Netzwerk zerstört hat, von dem Teheran viel Nuklearwissen bezog, hat dazu sicher beigetragen. Grundsätzlich existieren aber vier Sicherheitssschirme: Verträge zur Nichtweiterverbreitung noch dichter gestalten; kriminelle Netzwerke zerstören; Sanktionen; schließlich militärische Eindämmung. Aber bis dorthin ist es noch weit. Wenn der Iran tatsächlich in Griffnähe zu Nuklearwaffen ist, dann werden auch China und Russland ihr Veto gegen Sanktionen überdenken.

Wiener Zeitung Printausgabe vom Mittwoch, 07. April 2010

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