Interesse an einer gemeinsamen Welt

Nach dem Empire die Zusammenarbeit: Zwei amerikanische Politologinnen votieren für eine radikale außenpolitische Trendwende der USA. Buchbesprechung von Prof. Heinz Gärtner

Mit der „Bush-Revolution“ verbunden war die neokonservative Ideologie von globaler amerikanischer Vorherrschaft und die Vorstellung, dass die USA ein Empire seien, das nicht nur außenpolitische Dominanz ausübt, sondern auch die innenpolitischen Strukturen und Entscheidungsmechanismen anderer Staaten formt. An dieser Debatte beteiligten sich nicht nur amerikanische Intellektuelle, wie Charles Krauthammer, Robert Kagan und Max Boot, sondern auch europäische Ableger wie Niall Ferguson oder Herfried Münkler.

Robert Kagan machte sich über die Europäer lustig, weil sie nicht sahen, dass sie in einer Hobbes’schen Welt voller Feinde leben würden. Ganz in diesem Sinne unterstreichen die Nationalen Sicherheitsstrategien der USA von 2002 und von 2006, dass die USA „militärische Überlegenheit gegenüber jedem Herausforderer behalten müssen“. Selbst die demokratischen Präsidentschaftskandidaten können sich dieser Rhetorik nicht entziehen. Hillary Clinton will die Nuklearkapazität der USA „in solch ausreichender Stärke behalten, die andere davon abschrecken soll, mit den USA gleichzuziehen“. Barack Obama fügt, bezugnehmend auf den Irakkrieg, zumindest hinzu, dass die stärkste Macht der Erde ihr Militär „weise“ einsetzen soll.

Die beiden Politologinnen Nina Hachigian und Mona Sutphen, die unter Präsident Bill Clinton im „National Security Council“ der USA gearbeitet haben, zeichnen nun ein ganz anderes Bild für Amerika im nächsten Jahrhundert. Das Streben nach globaler Vorherrschaft ist gescheitert. Die Machtlosigkeit der USA, die Ereignisse im Mittleren Osten (im Irak, in Afghanistan oder Iran) und in Süd- und Südostasien (wie Pakistan oder Nordkorea) alleine zu bestimmen, habe die neokonservative Ideologie zunehmend verblassen lassen.

Die Besessenheit von militärischer Überlegenheit hat Alternativen aus dem Blickfeld verdrängt. Keine der Schlüsselmächte wie Europa, China, Japan, Russland und Indien stellen auf absehbare Zeit eine Bedrohung für die USA dar oder haben gar die Absicht, sie anzugreifen. Die Schlüsselmächte mögen nicht den Anordnungen der USA folgen, sie wollen diese aber auch nicht zerstören. Sie mögen nicht Freunde der USA sein, sie sind aber auch keine Feinde, sondern Partner. Sie sind unerlässlich, um die globalen Herausforderungen zu lösen. Wenige Stimmungsmacher Keine von ihnen vertritt ein den USA entgegengesetztes Weltbild, und alle haben ein gemeinsames synergetisches Interesse an Welthandel, globaler Stabilität, Wirtschaftswachstum und Innovation. Die Erkenntnis, dass die USA in vielen Fragen – wie Proliferation von Nuklearwaffen, Epidemien, Terrorismus, Energieknappheit, Klimaveränderung oder Wirtschaftsrezession – auf die Kooperation mit anderen Schlüsselmächten angewiesen sind, erfordert mehr Multilateralismus. Es gibt nur wenige Entscheidungsträger in den USA, im Kongress, im Pentagon und in Teilen der Rüstungsindustrie, sowie nur wenige Lobbyisten und Medien, die Stimmung gegen multilaterale Kooperation machen.

Tatsächlich sind es nur zehn Prozent der Amerikaner, die glauben, dass die USA eine alleinige Führerschaft in der Welt übernehmen sollten. 70 bis 90 Prozent glauben, dass die USA internationalen Vereinbarungen wie zum Klimaschutz, dem umfassenden nuklearen Teststoppvertrag, dem internationalen Strafgerichtshof oder einem Vertrag zur Verhinderung des Wettrüstens im Weltraum beitreten sollten. Das Argument, dass beispielsweise China eine Bedrohung für die USA sein könnte, sei, so die Autorinnen, „lächerlich“. Chinas Militärausgaben betragen etwa ein Zehntel von denen der USA, es besitzt keinen funktionierenden Flugzeugträger und hat keine schweren Langstreckenbomber. Das Argument würde vor allem von Kongressmitgliedern verwendet, die keine außenpolitische Verantwortung hätten. Nicht Ressourcen verschwendende „Eindämmung“ einzelner Schlüsselstaaten, sondern „strategische Kooperation“ sei eine erfolgreiche langfristige Strategie. Die USA würden von den Schlüsselmächten profitieren und nicht gegen sie verlieren. Den Autorinnen ist es nicht wert, sich mit Abstiegsszenarien wie jenen von Paul Kennedy oder Emmanuel Todd auseinanderzusetzen. Die Welt ist kein Nullsummenspiel, bei dem der Gewinn des einen der Verlust des anderen sei.

Im Gegensatz zur neokonservativen Ideologie glauben Hachigian und Sutphen, dass für die USA die Teilnahme am internationalen System, an internationaler Legitimität, internationalen Organisationen, Normen und Regeln unerlässlich sei. Während die USA die Option auf unilaterale Handlungen nicht aufgeben werden, sollten sie bei der Anwendung von Gewalt in jedem einzelnen Fall die Zustimmung der Schlüsselstaaten suchen. Die Autorinnen schlagen ein Weltforum von sechs Staaten (C6 für „Core Six“) vor, die auch permanente Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sein sollen. Europa würde demnach ein Mitglied neben den USA, Russland, China, Japan und Indien sein.

Die Autorinnen vergleichen die C6 mit dem Europäischen Konzert, das mit dem Wiener Kongress nach 1815 entstanden ist. Es gab weder eine Hegemonialmacht noch eine Anarchie von Staaten. Dieser Vorschlag ist sicherlich diskutierbar, und er entspricht eher den Erfordernissen der heutigen Welt als der des republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain, der an die Zeiten des Kalten Krieges erinnert. McCain will Russland aus den G8 ausschließen und eine eigene „League of Democracies“ mit Indien und Brasilien, aber ohne Russland gründen. „Wir brauchen eine gemeinsame Linie des Westens gegen ein revanchistisches Russland, dessen Führer offenbar eher einen alten Konfliktkurs einschlagen wollen, als sich dem demokratischen Frieden des Westens anzuschließen.“ Innerhalb der Vereinten Nationen will sich McCain nur „mit jenen Demokratien arrangieren, die unser aller Werte und Prinzipien teilen“. McCain scheint vergessen zu haben, dass es die Demokratie Frankreich war, die im Jahr 2002 gegen die Autorisierung des von McCain befürworteten Irakkrieges im UN-Sicherheitsrat stimmte.

Insgesamt bietet das Buch eine gute Orientierungshilfe für den nächsten US-Präsidenten. Es verwirft Machtpolitik der USA nicht an sich, sondern stellt sie in den Kontext anderer großer Staaten und Mächte. Die Interessen dieser Schlüsselmächte müssen respektiert werden. Diese sind nicht prinzipiell gegen die der USA gerichtet, sondern sie können gegenseitig befruchtend sein. Militärisches Überlegenheitsstreben und Mächtegleichgewicht helfen hingegen nicht gegen Terroristen und Viren. Voraussetzung, dass sich der nächste Präsident mit diesen Ideen anfreundet, ist aber, dass die USA acht Jahre neokonservativer, überheblicher Außenpolitik hinter sich lassen.

(Heinz Gärtner/DER STANDARD, Printausgabe, 1./2.3.2008)

Nina Hachigian, Mona Sutphen, „The Next American Century: How the U.S. can thrive as other powers rise“. € 26,– / 358 Seiten. Simon & Schuster, New York, London, Toronto, Sydney 2008.

Buchbesprechung im PDF – Format downloaden