Weitsichtiger strategischer Denker mitdunklen kurzsichtigen Flecken

Zum Ableben von Henry Kissinger

Henry Kissinger prägte in den siebziger Jahren als Sicherheitsberater und Außenminister entscheidend die amerikanische Außenpolitik. Darüber hat er in seinen Memoiren ausführlich berichtet. Er war ein Spiegel amerikanischer Widersprüchlichkeiten. Er war ein großartiger strategischer Denker verbunden mit besessenem politischen Egozentrismus. Er stellte moralische Ansprüche, während er humanitäre Überlegungen verwarf und Menschenrechte ignorierte. Er wusste geopolitische Macht einzusetzen, fürchtete aber Ideen, die, wie er glaubte, gefährlich wären und die nicht seinen Vorstellungen entsprachen. Kissingers Versuche, Stabilitäten für die USA zu schaffen, schloss die Unterstützung von Staatsstreichen – ungeachtet davon, ob es sich dabei um Demokratien handelte – und die Akzeptanz von massenhaften zivilen Opfern ein. Diplomatie war für ihn, all diese Gegensätze auf einen gemeinsamen Nenner zu heben, und – wie er sagte – „Wahrscheinlichkeiten abzuwägen” und „Nuancen der Möglichkeiten zu meistern”.1 Kissingers Memoiren und seine thematischen Bücher bieten eine unverzichtbare Quelle für das Studium der amerikanischen Außenpolitik. Sie beschönigen aber auch seine Rolle, wenn nötig durch Unterlassungen und historische Unwahrheiten.

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