INF-Vertrag wird Geschichte: Konsequenzen für Europa

Trump hat das angekündigt und wird das nicht zurücknehmen. Was einige europäische Staaten auch versucht hatten – alle Versuche, den Vertrag zu retten, blieben ergebnislos. Der Vertrag wird bald Geschichte sein. Heinz Gärtner, Politikwissenschaftler des internationalen Friedensinstituts in Wien, analysiert die Konsequenzen im Sputnik-Gespräch.

Der Grund, der von den USA angeführt wird, sind Vertragsverletzungen vonseiten Russlands wegen des Tests von Marschflugkörpern. Das wäre eher ein Anlass, betont der Sicherheitsexperte. Die wirklichen Gründe dürften darin liegen, dass der Vertrag die technologische Entwicklung der USA behindert hat. Zudem werde China von dem Vertrag nicht erfasst, und das, obwohl seine nukleare Abschreckung vor allem auf Mittelstreckenraketen basiert. Auch für Europa werde das Konsequenzen haben.

„Wenn der INF-Vertrag, der sich vor allem auf Europa bezogen hat, gekündigt wird, dann steht es den nuklearen Supermächten wieder frei, auch ihre Marschflugkörper beziehungsweise ballistischen Raketen in Europa oder mit dem Zielgebiet Europa zu stationieren. Und da haben wir ein Déjà-vu. Das ist eigentlich der Grund gewesen, warum 1987 der INF-Vertrag abgeschlossen wurde. Diese Situation kann jetzt wieder eintreten, wenn sich die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland dramatisch verschlechtern.“

Die Europäer hätten Kritik daran geübt, dass dieser Vertrag aufgelöst wird. Diese Kritik sei auch von Deutschland gekommen. In den 70er Jahren hätte sich Deutschland vor allem von der Stationierung der amerikanischen Pershings und Cruise Missiles bedroht gefühlt, und Deutschland wäre jetzt wieder ein möglicher Kandidat, dass diese Raketen aufgestellt werden, so Gärtner.

„Allerdings ist die Nato da ganz auf USA-Linie. Die Nato wirft natürlich Russland Vertragsverletzung vor, und die Nato steht faktisch dahinter, dass dieser Vertrag aufgelöst wird, und für die europäischen Nato-Verbündeten wird es wahrscheinlich schwer werden, weil sie möglicherweise auch Trumps Vergeltung politischer und diplomatischer Art fürchten.“K

Der Vertrag könnte jetzt nicht gespeichert werden, ist Professor Gärtner sicher. Russland und die USA hätten mehr tun können, um den Vertrag zu retten, d.h. sie hätten mehr Transparenz zeigen müssen. So hätte Russland den Journalisten früher zeigen müssen, dass die Marschflugkörper 9M729 eine geringere Reichweite haben. Die USA hätten ihrerseits Beweise vorlegen müssen, dass Russland tatsächlich den Vertrag verletzt hat. „Die Entscheidung ist nun gelaufen, und wir müssen uns jetzt mit den Konsequenzen auseinandersetzen“, schlussfolgert er.

Die USA würden sich auf die Produktion und Stationierung von kleineren Nuklearwaffen konzentrieren, um diese wieder als potentielle Abschreckung einsetzen zu können. Gärtner nimmt an, dass Russland auch darauf reagieren werde:

„D.h. die strategische Stabilität wird dadurch sehr fraglich. Die USA argumentieren, dass die Abschreckung erhöht wird, aber niemand kann sicher sein, dass, wenn auf Mittelstreckenebene Nuklearwaffen eingesetzt werden, es auf oberer Ebene der Interkontinentalraketen nicht eskalieren wird. Da sehe ich auch das Problem mit dem neuen START-Vertrag, der 2021 auslaufen wird.“

Die START-Verträge schränken insbesondere die Zahl der nuklearen Interkontinentalraketen ein. In den letzten Jahren werfen Moskau und Washington einander regelmäßig vor, gegen den INF-Vertrag zu verstoßen. Washington geht davon aus, dass Moskau die wahren Möglichkeiten des Marschflugkörpers 9M729 verheimlicht. Moskau weist die Anschuldigungen zurück und fordert von den USA die Untermauerung ihrer Vorwürfe mit konkreten Fakten.CH

Der 1987 zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion geschlossene Abrüstungspakt sieht die Abschaffung aller bodengestützten, nuklear bestückbaren Raketen mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern vor. Trump hatte Russland im Oktober 2018 ein Ultimatum bis zum 2. Februar gestellt: Würde Moskau bis dahin nicht die Zerstörung seiner neuen Marschflugkörper zusagen, würde sich Washington nicht mehr an den Vertrag gebunden fühlen.