Geschichte des jüdischen Kinderheims
DAS JÜDISCHE KINDERHEIM UND DIE TAGESHEIMSTÄTTE DER IKG
(2, MOHAPELGASSE 3, HEUTE: TEMPELGASSE 3)
1939
Im Dezember 1939 wurde die bestehende jüdische Kindertagesheimstätte, die nach ihrem Leiter auch als „Piper-Heim“ bezeichnet wurde, ins Gebäude der ehemaligen Israelitisch-Theologischen Lehranstalt in der Tempelgasse verlegt, einem Nebengebäude des zerstörten Leopoldstädter Tempels. Im selben Gebäude richtete die IKG des Weiteren einen Kindergarten ein.
1940
Nach der Schließung des Waisenhauses in der Bauernfeldgasse im November 1940 wurde in den Räumlichkeiten des Kindergartens ein Jugendheim für jüdische Knaben gegründet, da das als Waisenhaus umfunktionierte jüdische Lehrlingsheim in der Grünentorgasse bereits überfüllt war.
Nach der Auflösung des Kleinkinderheimes in der Unteren Augartenstraße wurden die Kinder im August 1942 in die Tempelgasse verlegt, wo die IKG ab diesem Zeitpunkt ein jüdisches Kinderheim einrichtete. Die Leitung des Heimes ging auf Gisela Kornfeld über, die zuvor das Kleinkinderheim in der Unteren Augartenstraße geführt hatte. Der Großteil der Kinder sowie der Knaben des Jugendheimes wurde jedoch in den darauffolgenden Monaten deportiert.
Nach Abschluss der großen Deportationen im Herbst 1942 war das jüdische Kinderheim das einzige Heim, das bis Kriegsende bestehen konnte. Da – abgesehen von den Kindern von IKG-Angestellten – nur jene Kinder in Wien verbleiben konnten, die einen „arischen“ Elternteil hatten und damit als „Halbjuden“ galten, war ab diesem Zeitpunkt ein nicht unbedeutender Teil der Kinder im Heim und in der Tagesheimstätte christlicher Konfession. Unter diesen Kindern waren einige, die zuvor im Rahmen des Kinderhortes der „Erzbischöflichen Hilfsstelle für nichtarische Katholiken“ (1., Wollzeile 7) betreut worden waren und erst nach dessen Schließung im Oktober 1942 in das Heim in die Tempelgasse kamen. Auch eine der ehrenamtlichen Betreuerinnen des Kinderhortes, Edith Löw (verh. Taussig) wurde nach der Schließung des Hortes im jüdischen Kinderheim als Betreuerin tätig, während ihre Mutter Friederike Löw bis zu ihrer Deportation als Krankenschwester im jüdischen Spital arbeitete. Dr. Hugo Bondy, ehemaliger Direktor der inzwischen behördlich geschlossenen „Schule für christliche und konfessionslose nicht-Arier“ (5., Grüngasse 14), übernahm die Leitung der im Kinderheim untergebrachten Tagesheimstätte, nachdem der vormalige Leiter Saul Kern-Piper nach Theresienstadt deportiert worden war.
Aufgrund des erheblichen Anteils an katholischen Kindern im Heim unterstützte die „Erzbischöfliche Hilfsstelle“ das jüdische Kinderheim ab diesem Zeitpunkt mit regelmäßigen Geldzuwendungen sowie mit Lebensmittel und Medikamenten. Des Weiteren organisierte die „Hilfsstelle“ auch Weihnachts- und Osterfeiern im Kinderheim und Kinderspital, bei denen die Kinder kleine Geschenke und süßes Gebäck erhielten. Angesichts der mageren Lebensmittelrationen waren dies rare Kostbarkeiten für die Beteiligten. Der Umstand, dass sich daraufhin einige Kinder taufen ließen, sei hier nicht unerwähnt, wobei manche Eltern sich dabei auch vergeblich eine Besserstellung für ihre Kinder erhofften.
Nachdem mit einem Erlass vom 30. Juni 1942 schließlich auch die „Beschulung“ jüdischer Kinder verboten wurde, durften auch jüdische Kinderheime dezidiert keinerlei Unterricht anbieten. Dennoch versuchten die BetreuerInnen wie Edith Löw, den Kindern etwas Bildung zu vermitteln, indem sie ihnen beispielsweise heimlich Lesen und Schreiben beibrachten. Die 1932 geborene Susanne Bassler, die als „Halbjüdin“ die Tagesheimstätte besuchte, während ihre Mutter Zwangsarbeit leisten musste, beschreibt in einem Interview, wie wichtig diese Lernmöglichkeit für sie war, wobei alle Kinder darauf gedrillt gewesen waren, bei eventuellen Kontrollen das Lernmaterial sofort verschwinden zu lassen. Neben Edith Löw, die Kinder im Kindergartenalter betreute, zählte auch Renée Herzka zum Betreuungspersonal im Kinderheim, wobei sie für die Kleinkinder zuständig war. Die zwei männlichen Betreuer, Robert Nagel und Friedrich Taussig, der spätere Ehemann von Edith Löw, wurden hingegen für die Betreuung der Kinder ab dem Volksschulalter eingesetzt.
Auch nach dem Abschluss der großen Deportationen wurden immer wieder Kinder aus dem Kinderheim deportiert. Aus diesem Grund versuchte die Jugendfürsorgerin Franzi Löw einzelne Kinder dadurch zu retten, indem sie jenen, bei denen der Name des Vaters im Geburtsschein nicht aufschien, fiktive „arische“ Väter zuschrieb, die sie zuvor aus Tauf- und Telefonbüchern recherchiert hatte. In einem Fall gelang es ihr, einen „halbjüdischen“ Jungen, dessen jüdische Pflegeeltern bereits deportiert worden waren, aus dem Sammellager herauszubekommen, indem sie (vermutlich Anton) Brunner einen Taufschein vorlegte, den ihr Pater Born von der „Erzbischöflichen Hilfsstelle“ ausgestellt hatte. Dieses Kind war der spätere Boxer und Bodybuilding Pionier Harry Gelbfarb, der damit bis zum Kriegsende im Kinderheim überleben konnte.
Im Dezember 1944 kamen auch jüdische Kleinkinder ins Kinderheim, die mit ihren Familien von Ungarn zur Zwangsarbeit nach Wien verschleppt worden waren. Darunter befanden sich auch einige Neugeborene, die gemeinsam mit ihren Müttern in einer improvisierten Säuglingsabteilung im Kinderheim untergebracht wurden.
Nach der Zerstörung des angrenzenden jüdischen Kinderspitals durch einen Bombentreffer im Oktober 1944 musste der „Ältestenrat“ (Nachfolgeorganisation der aufgelösten IKG) in den Räumlichkeiten des Kinderheims ein Notspital für die PatientInnen des Kinderspitals einrichten, das dort bis zum Kriegsende bestand.