Die Umsetzung als Restorative Justice:

wiedergutmachende Gerechtigkeit, heilungsorientierte Justiz


Wenn eine Verletzung einzelner Menschen oder gemeinsamer Werte passiert, so könnte der Fokus unserer Reaktion darauf liegen, die Verletzungen wieder gut zu machen, den Schaden wieder in Ordnung zu bringen, und Beziehungen so weit zu regenerieren, dass ein gemeinsames Zusammenleben der Gesellschaft für die weitere Zukunft möglich wird. Dieser Zugang ermöglicht die Einbeziehung einer weit größeren Anzahl von Kriterien und beteiligten Personen, von emotionalen Bedürfnissen, sozialen Beziehungsebenen und einer großen Palette an denkbaren Handlungsweisen und Ergebnissen. Auch erlaubt er den Beteiligten viel stärker die Rolle von aktiv Handelnden im Prozess.


Die meisten europäischen Rechtssysteme beinhalten bereits Ansätze (in Österreich etwa den Tatausgleich, in Deutschland den Täter-Opfer-Ausgleich) die unter dem Namen Restorative Justice zusammengefasst werden. Übersetzt werden könnte das als wiedergutmachende Gerechtigkeit oder heilungsorientierte Justiz.


Elemente der Restorative Justice
Restorative Justice in Österreich
Was schützt uns?
Tod, Wahrheit, Zukunft



Elemente der Restorative Justice


Welche Ausrichtung hat die Strafjustiz? Wenn man Fahrrad gestohlen wird, dann ist das Gericht nicht dafür da, mir mein Fahrrad... mehr lesen
  Strafgericht und Restorative Justice (pdf, 3 Seiten)


Christa Pelikan, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Rechts- und Kriminal-soziologie und langjähriges Mitglied in der ExpertInnenkommittees des Europarates, identifiziert folgende drei Elemente der Restorative Justice als wesentlich:


o   das soziale Element

        (der Kontext, die komplexe Lebenswirklichkeit der Beteiligten, bekommt Raum)

o   das partizipatorische Element

        (die Beteiligten setzten sich selbst mit dem Geschehenen auseinander)   

o   das Element der Wiedergutmachung

        (materiellen und emotionalen Schaden möglichst gut reparieren)


Zum Audio-File. Bild: Kurt Michel / pixelio.de  
    Diskussion mit Christa Pelikan zu den drei Elementen der Restorative Justice
     und ihrer Anwendung in der Praxis:

    Audio-file zum Reinhören oder Runterladen: (52 min, mp3, 13 MB)



Eine nähere Beschreibung dieser Elemente sowie ein Einblick in die verschiedenen Arten der Umsetzung in europäischen Rechtssystemen bietet dieser Artikel von Christa Pelikan:

  Elemente der Restorative Justice (pdf, 3 Seiten, 770KB)


           Restorative Circles in Brasilien                Kreis. Stefanie Hofschlaeger / pixelio.de


Ein Beispiel für die Umsetzung von Restorative Justice als Initiave der Zivilgesellschaft sind die Restorative Circles, die in Brasilien von Dominic Barter ins Leben gerufen wurden. Ähnlich wie manche traditionellen Rechtssysteme in verschiedenen Teilen der Welt zeigen sie Wege zu Eigenverantwortung und Heilung auf. Restorative Circles bringen Täter, Opfer und weitere Betroffene in einem Kreis zusammen und laden sie zum Gespräch ein. Man kommt freiwillig mit der Absicht, Verantwortung für das Geschehene und das Kommende zu übernehmen. Diese Absicht bringt den Prozess in Gang.


Mehr dazu auf www.restorativecircles.de




Restorative Justice in Österreich:

Mediation im außergerichtlicher Tatausgleich

Zum Audio-File. Bild: Kurt Michel / pixelio.deAuch in Österreich ist ein Instrument der Restorative Justice seit langem rechtlich verankert: der außergerichtliche Tatausgleich. Warum wurde er eingeführt? Und wie hat er sich bewährt? Wollen sich die Betroffenen überhaupt zusammensetzen? Und wenn ja, ensteht dann tatsächlich etwas Konstruktives? Michael Königshofer vom Verein Neustart war bei der Entstehungsgeschichte dabei und hat seither als Mediator in tausenden Fällen Menschen geholfen, im Rahmen des Tatausgleichs zu Lösungen zu finden.  Hier sein Vortrag an der Uni Wien im Herbst 2009:

Audio-File zum Reinhören oder Runterladen (55min, mp3, 15MB)




Zum Audio-File. Bild: Kurt Michel / pixelio.de Im zweiten Teil seiner Vorlesung bringt Michael Königshofer konkrete Beispiele aus der Praxis des außergerichtlichen Tatausgleichs in Wien: welche Streitfälle gab es, worum ging es den Leuten dabei, wie kann Mediation ablaufen?

Audio-File zum Reinhören oder Runterladen (48min, mp3, 13MB)




Zum Audio-File. Bild: Kurt Michel / pixelio.deEd Watzke, Soziologe, Psychotherpeut und erfahrener Mediator im Tatausgleich bei Neustart, philosophiert in der Vorlesung über die Erfindung von Gut/Böse, verweist auf die unterschiedlichen Arten, die menschliche Kulturen im Umgang mit sozialen Störungen entwickelt haben, und erzählt menschliche Geschichten aus dem Mediationsalltag im außergerichtlichen Tatausgleich in Wien.

Audio-File zum Reinhören oder Runterladen (54min, mp3, 14MB)



Zum Audio-File. Bild: Kurt Michel / pixelio.deInnovation im geltenden System ist vielleicht nicht so schwierig: Neues muss nicht perfekt sein, sondern nur besser als das Bisherige, und da legt die Gefängnisstrafe mit all ihren negativen Auswirkungen die Latte vielleicht nicht besonders hoch. Auch das gängige Strafrechtsverständnis besagt, dass Strafe nur die Ultima Ratio sein darf, das allerletzte Mittel, wenn alle anderen Mittel versagt haben... was waren doch gleich diese anderen Mittel, die wir zuerst probieren...?

Überlegungen von Nicole Lieger zum Reinhören oder Runterladen (22 min, mp3, 6MB)




Neustart – Täter unterstützen um Opfer zu verhindern.Neustart

Wirkungsvolle Täterarbeit ist der beste Opferschutz.

www.neustart.at




Was uns schützt:
Rückfallquoten im herkömmlichen Strafrecht
und bei Restorative Justice


Wie hoch sind die Rückfallquoten? Wie viele von denen, die strafrechtlich verurteilt werden, begehen später noch einmal ein Delikt und stehen wieder vor Gericht? Wie viele von denen, die durch ein Restorative Justice Programm gegangen sind?


Dazu gibt es viele Studien aus unterschiedlichen Ländern. Als durchgängiger Trend zeigt sich, dass Menschen nach Restorative Justice Programmen weniger oft rückfällig werden. Der Schutz der Gesellschaft vor weiteren Straftaten wäre demzufolge also höher als mit dem herkömmlichen Straf-System. Eine österreichische Studie aus dem Jahr 1999 zeigte auf, dass die Rückfallquote nach einem Außergerichtlichen Tatausgleich nur noch halb so hoch war wie nach einem klassischen Gerichtsverfahren und Geldstrafe. Ein auffälliges Ergebnis von Studien aus dem anglo-amerikanischen Raum ist, dass die Wirksamkeit von Restorative Justice bei schwerwiegenderen Delikten deutlicher ausgeprägt ist als bei den „leichten“.


Von den relevanten Studien sind einige auch im Volltext im Internet zu finden:

Überblick über sieben Studien auf http://restorativejustice.org/editions/2002/July02/recidivism


Latimer, Jeff and Dowden, Craig and Muise, Danielle (2001). The Effectiveness of

Restorative Justice Practices: A Meta-Analysis, Department of Justice, Canada.

www.d.umn.edu/~jmaahs/Correctional Assessment/rj_meta analysis.pdf 


Miers, David (2001) An International Review of Restorative Justice, UK Home Office

http://rds.homeoffice.gov.uk/rds/prgpdfs/crrs10.pdf


Studien zu Österreich:

Haider, A. / Leirer H. / Pelikan, C. / Pilgram, A.: Konflikte regeln, statt strafen! Über einen Modellversuch in der österreichischen Jugendgerichtsbarkeit, Verein für Gesellschaftskritik, Wien 1988.

Hofinger, Veronika / Neumann, Alexander: Legalbiografien von NEUSTART Klienten: Legalbewährung nach Außergerichtlichem Tatausgleich, Gemeinütziger Leistung und Bewährungshilfe, Forschungsbericht des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie, Wien Dezember 2008.

Schütz, Hannes: Die Rückfälligkeit nach einem Außergerichtlichen Tatausgleich bei Erwachsenen. Österreichische Richterzeitung: 161-166, 1999.



Schutz. Annamartha /pixelio  
wirksamer Schutz ...





Tod und Zukunft, Wahrheit und Versöhnung


Wie kann ich als Opfer eines Verbrechens oder als Hinterbliebene weiter leben? Was bringen Wahrheits- und Versöhnungsprozesse wie in Südafrika nach der Apartheid? Was führt uns von Krieg zu Frieden? Persönliche und politische Geschichten zu Heilung und Versöhnung sammelt zum Beispiel die britische Organisation The Forgiveness Project.


Mary Foley, deren Tochter Charlotte im Alter von 16 Jahren ermordet wurde, sagt über ihren eigenen Prozess: „Ich wusste, wenn ich nicht vergebe, würden Wut und Bitterkeit mich in einen Menschen verwandeln, den Charlotte nicht gemocht hätte.“

Bei Vergebung ging es zuerst einmal nur um meine eigene Befreiung, denn ich fühlte, dass ich ohne Vergebung zu einer Gefangenen würde. Ich habe nicht viel an die Täterin gedacht. Vergebung hat mich selbst von einer Last befreit, die ich nicht tragen wollte.“


Mary Foley's und viele weitere Geschichten finden sich auf:

http://theforgivenessproject.org.uk/stories/mary-foley-england/


In Brighton riss 1984 eine Bombe Jo Berrys Vater aus dem Leben und sie aus ihrem Vertrauen zur Welt. Jahre später machte sie sich auf, um den Mann zu treffen, der die Bombe gelegt hatte: Pat Magee. Ein tiefes Gespräch folgte, in dem eine echte menschliche Begegnung möglich wurde. Die beiden sind heute befreundet und setzen sich gemeinsam für Friede und Versöhnung ein. "Ich fühlte riesigen Schmerz und enorme Wut als mein Vater getötet wurde," sagt Jo Berry, "aber ich wollte den Kreislauf aus Gewalt und Rache in mir unterbrechen. Einen anderen Menschen zu verletzen würde nur mich selbst verletzen, und mich in der Opferrolle festhalten. Statt dessen wollte ich einen Weg finden, wie ich mein Trauma in Handlungen für den Frieden umwandeln konnte. Den Menschen im "Feind" zu sehen hat mir auf eine sehr tiefe Art wohl getan."

Mehr dazu auf: http://www.buildingbridgesforpeace.org



Ende der Apartheid in Südafrika:

Wahrheits- und Versöhnungskommission


Ein repressives System, Jahrzehnte oder Jahrhunderte von Ausbeutung, Folter und Mord; Gewalt, Trauer und Angst auf allen Seiten - wo sich so viel aufgestaut hat, was kann da noch helfen? Wie kann eine so schwer verwundete Gesellschaft einen friedvollen Weg in die Zukunft finden?


D.Tutu / wikimedia

Meine Menschlichkeit ist untrennbar mit Deiner verwoben;  wir können nur gemeinsam menschlich sein.  

Desmond Tutu .


An einem kritischen Wendepunkt der Geschichte, dem Ende des Apartheid-Regimes in Südafrika, wurde 1994 die Wahrheits- und Versöhnungskommission unter dem Vorsitz von Desmond Tutu ins Leben gerufen.

Ihr Ziel war es, die Wahrheit über während der Apartheid verübter Verbrechen ans Licht zu bringen, und einen Ort zu schaffen, an dem Schmerz, Wut und Reue ihren Ausdruck in einer menschlichen Begegnung zwischen Tätern und Opfern finden können. Vorrangig war daher die Anhörung beziehungsweise die Wahrnehmung des Erlebens der jeweils anderen. Dadurch, dass diese Prozesse von einzelnen intensiv durchlebt wurden, und ein großer Teil der Bevölkerung durch persönliche Anwesenheit oder über Fernsehen bei den öffentlichen Verfahren Anteil nehmen konnte, sollte eine Grundlage für die Versöhnung und ein zukünftiges Miteinander der verschiedenen Gruppen des Landes geschaffen werden. Dafür, und auch, um die Wahrheitsfindung zu ermöglichen, konnte die Kommission Amnestien erteilen wenn Täter Reue zeigten und mithalfen, die Wahrheit ans Licht zu bringen, indem sie vorbehaltlos auch über ihr eigenes Tun aussagten.

Eine persönliche Geschichte dazu gibt es auf:

http://theforgivenessproject.org.uk/stories/linda-biehl.easy-nofemela-south-africa/




Zum Audio-File. Bild: Kurt Michel / pixelio.de
Christa Pelikan spricht in der Vorlesung über die Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika, sowie über derzeit laufende Restorative Justice Programme zu alltäglicher Gewalt in den Townships. Die Frage wird aufgeworfen, wie ein Wahrheits- und Versöhnungsprozess in Österreich nach dem Ende des Nationalsozialismus gewirkt hätte.

Audio-File zum Reinhören oder Runterladen (42min, mp3,11MB)



Zum Audio-File. Bild: Kurt Michel / pixelio.de
Diskussion zur Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika und dem Vergleich mit dem Ende des Nationalsozialismus in Österreich.

Audio-File zum Reinhören oder Runterladen (18min, mp3, 5MB)





Kriegsfriedhof





Krieg und Frieden


Wie ist es mit großer, organisierter Gewaltanwendung in Form von Krieg, mit hunderten und hundertausenden von Toten? Kann es da Versöhnung oder auch nur Begegnung geben? Als Beispiel hier eine Organisation, die gemeinsam gegründet  wurde von Israelis und Palästinensern, die zuvor, als Soldaten oder paramilitärische Kämpfer, einen aktiven Teil der Gewaltspirale gebildet hatten: "Combatants for Peace" http://cfpeace.org


Zohar Shapira, der 15 Jahre als Soldat gearbeitet hat, sagt:

"Als ich ohne die Rückendeckung eines Militärjeeps die Grüne Linie zum palästinensischen Gebiet überquerte, fürchtete ich um mein Leben. Es gab zu Beginn viel Misstrauen, und ich hatte Angst davor, zuzugeben, was ich als Soldat getan hatte. Aber langsam begannen wir, einen Dialog zu führen."

http://theforgivenessproject.org.uk/stories/zohar-shapira-israel/



 

combatants for peace





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Jenseits der Restorative Justice:
ein Mosaik an Lösungsansätzen