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3. XII. 12
Liebste, ich hätte heute wohl die Nacht im Schreiben durchhalten sollen. Es wäre meine Pflicht, denn ich bin knapp vor dem Ende meiner kleinen Geschichte und Einheitlichkeit und das Feuer zusammenhängender Stunden täte diesem Ende unglaublich wohl. Wer weiß überdies, ob ich morgen nach der Vorlesung, die ich jetzt verfluche, noch werde schreiben können. Trotzdem - ich höre auf, ich wage es nicht. Durch dieses Schreiben, das ich ja in diesem regelmäßigen Zusammenhang noch gar nicht so lange betreibe, bin ich aus einem durchaus nicht musterhaften, aber zu manchen Sachen gut brauchbaren Beamten (mein vorläufiger Titel ist Koncipist) zu einem Schrecken meines Chefs geworden. Mein Schreibtisch im Bureau war gewiß nie ordentlich, jetzt aber ist er von einem wüsten Haufen von Papieren und Akten hoch bedeckt, ich kenne beiläufig nur das, was obenauf liegt, unten ahne ich bloß Fürchterliches. Manchmal glaube ich fast zu hören, wie ich von dem Schreiben auf der einen Seite und von dem Bureau auf der andern geradezu zerrieben werde. Dann kommen ja wieder auch Zeiten, wo ich beides verhältnismäßig ausbalanciere, besonders wenn ich zuhause schlecht geschrieben habe, aber diese Fähigkeit (nicht die des schlechten Schreibens) geht mir - fürchte ich - allmählich verloren. Ich schaue mich im Bureau manchmal mit Blicken um, die niemand früher in einem Bureau für möglich gehalten hätte. Mein Schreibmaschinist ist noch der einzige, der mich in solchen Augenblicken zart zu wecken versteht. Dann sind mir auch Deine Briefe jetzt, seitdem wir einander ruhig liebhaben unbedingt eine Hilfe zum Leben; jemand und nicht nur jemand sondern die Liebste sorgt für mich und ich springe von Deinem Briefe in einem bessern Zustand zu meiner Arbeit auf. Aber trotzdem, trotzdem -Dein Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |