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[An Felice Bauer]
[Prag, 4. November 1912; Mittwoch]

4. XII. 12

Gott sei Dank, Liebste, dass Du am Ende Deines Briefes ruhiger bist, ich hätte nicht gewußt, was vor Selbstvorwürfen anzufangen. Dafür verspreche ich Dir jetzt so schön als ich nur kann - und ich wollte den Mund des Frl. Brühl haben, die Dich während des Schreibens küßte, um es Dir noch besser bekräftigen zu können - dass (der Feierlichkeit halber schreibe ich Buchstabe für Buchstaben) ich Dich nie mehr brieflich quälen werde, sondern mir das aufspare, bis wir beisammen sind und alle Untat gleich und bestens gutgemacht werde kann und nicht erst so primitiv und spät wie durch einen folgenden Brief.
Du sagst es selbst, ich will Dich nicht quälen; Du bist zwar mein eigenes Selbst und dieses quäle ich von Zeit zu Zeit, das tut ihm gut, aber Du bist mein innerstes und zartestes Selbst und das möchte ich allerdings um alles in der Welt gern verschonen und in vollkommenster Ruhe halten. Und trotz des besten Willens - es muß die Feder sein, die in meiner Hand ihre eigenen bösen Wege geht.
Liebste! Verzeihung und von nun an ruhige Briefe, wie es sich gehört, wenn man an die Liebste schreibt, die man streicheln und nicht peitschen will.
Auch gestern abend habe ich übertrieben, fällt mir ein. Es geht ja mit dem Bureau so beiläufig. Und sitze ich auch da als Jammermensch, nachdem ich Deinen Brief bekommen und gelesen habe, erhebe ich mich als ein Riese und gehe als ein eifriger Beamter zur wartenden Schreibmaschine, ganz so als führtest Du mich hin und hättest mir, wenn ich gut gearbeitet haben sollte, zur Belohnung einen Kuß versprochen. Nicht traurig sein, Liebste! Es ist Dir schon gelungen, mich glücklich zu machen, als Du es noch gar nicht wolltest, wie erst jetzt. Adieu, Liebste, kann ich mich denn heute gar nicht verabschieden? Und jetzt auf zur Schreibmaschine! Das ist übrigens der letzte zweite Tagesbrief, jetzt wird immer nur noch einer kommen. Erklärung folgt. Ich komme nicht weg von Dir, Liebste, heute. Reiß Du Deine Hand zurück, wenn ich so närrisch bin.

Franz

Letzte Änderung: 29.4.2016werner.haas@univie.ac.at