Lehre

Neuer Kontext für den Siegfriedskopf

Ein 83 Jahre altes Ärgernis an der Uni Wien wurde verlegt: Der Siegfriedskopf, ein 1923 von deutschnationalen Studenten in der Aula errichtetes Denkmal für im Weltkrieg gefallene Studenten und bis in die Gegenwart Pilgerstätte für schlagende Burschenschaften, wurde in den Arkadenhof verlegt und in eine künstlerische Installation von Bele Marx & Gilles Mussard integriert. Damit wurde ein Senatsbeschluss zur Entfernung des Symbols für den universitären Antisemitismus aus dem Jahr 1990 (!) verwirklicht, was bislang von einschlägigen Seilschaften sabotiert wurde.

Die künstlerische Umdeutung des Denkmals ist bemerkenswert: Der Kopf wurde in drei Bestandteile zerlegt und die Elemente jeweils einem "Glasraum" zugeordnet. In diese Glaskuben sind Ausschnitte aus Publikationen unterschiedlicher Zeiträume eingearbeitet, die der historisch-politischen Kontextualisierung des Denkmals dienen. Eine äußere Glasschicht trägt hingegen das autobiographische Zeitzeugnis von Minna Lachs, das ein Schlaglicht auf die eskalierenden antisemitischen Ausschreitungen an der Universität in den 20er Jahren wirft. Geworfenes Licht ist auch Teil des künstlerischen Konzeptes, da die Texte mit dem Lauf der Sonne einen stets sich wandelnden Schatten auf das Objekt werfen; die sandgestrahlte Schrift würde bei gewaltsamer Einwirkung stärker hervortreten, die Erinnerung sich gewissermaßen selbst verteidigen.


© Büro Photoglas

Auf diese durchaus originelle Konzeption aber wird seinerseits ein Schatten von Erinnerungsdiskursen geworfen, die die Rolle des Siegfriedskopfes als Ausdruck antisemitischer Kontinuitäten verschweigen, denn die Parteinahme für Schrift und Erinnerung erfolgt gegen "Extreme gleich welcher politischer Richtung", wie es im Pressetext heißt. Statt die Gelegenheit zur unmissverständlichen Positionierung zu ergreifen, war bei der Eröffnung die diffuse Rede von "vielschichtigen Vorgängen" und "unseligen Kriegen", deren Opfer schlussendlich doch jeder Mensch ist. Damit ist die neue Skulptur ungewollt auch Ausdruck für einen spezifisch österreichischen Erinnerungsdiskurs, der Antisemitismus nicht beim Namen nennen will und Opfer und Täter gerne mal vermischt.

Erschienen in Liga, dem Magazin der
Österreichischen Liga für Menschenrechte

Ausführlicher Text zur Neugestaltung des Siegfriedskopfes