Lehre

Der Siegi unterm Glassturz

Der "Siegfriedskopf" wurde zu einer künstlerischen Installation und steht damit in einem "neuen Kontext" – der seinerseits aber alten Subtext erkennen lässt


© Büro Photoglas

EIN SCHELM (oder doch ein/e Kenner/in österreichischer Zustände?) wer Böses dabei denkt: Mitten in der sommerlichen Lethargie und Leergefegtheit wurde an der Universität Wien zu Stande gebracht, was eigentlich schon seit 16 Jahren beschlossene Sache ist und von einer so reaktionären wie effizienten Lobby verhindert wurde: Der Siegfriedskopf wurde von der Aula in den Arkadenhof verlegt. Ob damit gröberen Auseinandersetzungen aus dem Weg gegangen werden sollte, sei dahingestellt, offiziell waren es natürlich dem Umbau des ganzen Bereiches geschuldete Sachzwänge, die den beinah klandestinen Vollzug der Übersiedlung notwendig machten. Bemerkenswert auch die Auflage an die beiden KünstlerInnen, die mit der künstlerischen Umgestaltung des Schädels betraut wurden: Jede Veränderung muss rückgängig machbar, der Siegfriedskopf also theoretisch in alter Form, im alten Kontext also wieder herstellbar sein. Man weiß ja nie, wohin die Zeiten sich wenden...
Der Siegfriedskopf wurde 1923 von deutschnationalen Studenten errichtet und sollte die gefallenen "Helden" des 1. Weltkrieges ehren. Dass er schlagenden Burschenschaftlern bis in die Gegenwart als Pilgerstätte zur Huldigung ihrer Ideologie dient, ist Ausdruck der Tatsache, dass er steinerne Inkorporierung rechtsextremer und antisemitischer Kontinuitäten an der Universität Wien ist (vgl. die 2002 von Context XXI herausgegebene Broschüre "Siegfrieds Köpfe"). Einem nie umgesetzten Senatsbeschluss aus dem Jahr 1990 zu seiner Entfernung folgte 1995 die Zusage zur Anbringung einer erklärenden Tafel, die ihrerseits nie realisiert wurde – nun also die Verlegung in den Arkadenhof rechts, abseits der zentralen Achse des Gebäudes, wie man betont. Das Duo Bele Marx und Gilles Mussard hat den Siegfriedskopf in eine nicht undurchdachte künstlerischer Installation integriert.

PROBLEMATISCH DARAN SIND EHER DIE DISKURSE, die im Zuge dieser "Vergangenheitsbewältigung" zum Tragen kommen, wie „Herrschaftszeiten“, die Zeitung der Studienvertretung Politikwissenschaft nach der Eröffnungsveranstaltung im Sommer schon feststellte. In der Tat ist die online nachzulesende Eröffnungsrede der Kunstmanagerin Angelica Bäumer eine Fundgrube von Belegen für die österreichische Vergessenssehnsucht. So nennt sie den Siegfriedskopf etwa das Werk "eines zu Recht vergessenen Bildhauers" – vergessen ist der aber nur für jene, die vielleicht nicht daran erinnern wollen, wofür das Denkmal von Anfang an stand: geschaffen hat es ein Josef Müllner, der sich auch durch eine Hitlerbüste in der Akademie der Bildenden Künste verewigt hat. Dieses Detail ist symptomatisch für das ganze Verständnis der Neugestaltung: Der Siegfriedskopf soll nicht etwa ein Denkmal von Rechtsextremen für Deutschnationale gewesen sein, sondern ein an sich unschuldiges Kriegerdenkmal, das ominös "vielschichtige Vorgänge" ausgelöst hat und "von links oder rechts" vereinnahmt wurde. Der Tod aber, so Bäumer, "nivelliert alle gesellschaftlichen Unterschiede und politischen Ansichten". Bei einer Präsentation im Oktober betont Gilles Mussard folgerichtig, dass links oder rechts keine Rolle mehr spielen, wo doch der Mensch zählt: Zwei Weltkriege haben einen ernormen Druck ausgeübt, und zwar "für jeden Menschen". Damit sind wir beim gut eingeübten Refrain des vergangenen Jubiläumsjahres angelangt: Sind wir nicht alle irgendwie Opfer? Das "archäologisierte Denkmal", freut sich Bäumer, ist nun zu einem "Signal gegen jede Form von Rassismus, Aggression und Radikalität, von welcher Seite auch immer, geworden".
Von welcher Seite auch immer: Es ist die Schrift, das freie Wort, das – wie der Pressetext weiß – "in diktatorisch geführten Regimes der Vernichtung anheim fällt". Aus diesem Grund spielt das geschriebene Wort in der Installation eine zentrale Bedeutung: Der Siegfriedskopf wurde in drei Teile zerlegt, die jeweils unter einem Glaskubus liegen. Im inneren Bereich sind in dieses Glas mit einem speziellen Verfahren Texte und Bilder aus verschiedensten Publikationen gewissermaßen eingeschweißt, die mit Unterstützung und unter Betreuung des Instituts für Zeitgeschichte ausgewählt wurden und die politische Geschichte des Denkmals transparent machen sollen. Über all dem liegt ein weiterer großer Kubus, in dem der autobiographische Bericht von Minna Lachs zu lesen ist, der eine unmissverständliche Verbindung zwischen dem Denkmal und den antisemitischen Ausschreitungen an der Uni Wien in den 1920er Jahren herstellt.

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BEMERKENSWERT IST DIE IDEE, bei der Anbringung dieses Textes eine Technik anzuwenden, die bewirkt, dass die Schrift beim nicht gerade unwahrscheinlichen Versuch des zerstörerischen Einwirkens von außen nur umso stärker hervorträte: Die Schrift würde "antworten", die Skulptur sich gewissermaßen selbst verteidigen. Fragwürdiger schon die andere gefinkelte Besonderheit des Materials: Die sandgestrahlte Schrift wirft bei Sonnenlicht Schatten und projiziert die Erinnerung so auf unterschiedliche(n) Ebenen, bei Regen hingegen füllt sie sich mit Wasser und verschwindet. Die Metapher für den kontingenten Charakter von gesellschaftlicher Erinnerung hat einen entscheidenden Haken: Sie überlässt ihre Präsenz den Wetterverhältnissen und spricht die gesellschaftlichen AkteurInnen somit von ihrem Zutun frei.
Trotz der zentralen Rolle des Textes von Minna Lachs fällt das Wort Antisemitismus in den Presseunterlagen kein einziges Mal, und auch bei der Begehung im Oktober wird es von den TeilnehmerInnen gewissermaßen erst eingefordert. Dies ergibt sich aus dem Grundkonzept, wonach das Kunstwerk nicht die Chance ergreift, ein längst fälliges sichtbares Statement gegen rechtsextreme und antisemitische Kontinuitäten an der Uni zu sein, sondern sich vielmehr als "Metapher" gegen Extreme "gleich welcher politischen Richtung" begreift.
Die mangelnde Positionierung kann den KünstlerInnen freilich sicher nicht unmittelbar vorgehalten werden, denn Bele Marx betont bei der Führung glaubhaft, "gegen Burschenschafter" zu sein; doch wie so oft hakt diese niedrigschwellige zivilgesellschaftliche antifaschistische Selbstzufriedenheit gleich unter ihrer mainstreamtauglichen Oberfläche. So spricht Angelica Bäumer den Antisemitismus in ihrer Rede sehr wohl ein (einziges) Mal an, und zwar indem sie den antisemitischen Klassiker der selbstverschuldeten Verfolgung gleich eigenmündig zum Besten gibt: Die Krawalle um den Siegfriedskopf nämlich hätten den Deutschnationalen erst "das Motiv für ihre antisemitischen und antijüdischen Parolen und Attacken" geboten.

MIT DER LEGENDE VOM NEUTRALEN DENKMAL für gefallene Studenten, das von den Rechten lediglich vereinnahmt worden sei, wird explizit nicht gebrochen. Gilles Mussard drückt den armen Jungs im Schützengraben sogar sein Mitgefühl wegen der "heroisierenden" Instrumentalisierung aus, und es fällt völlig unter den Tisch, dass diese sich größtenteils freiwillig und national hoch motiviert zu diesem Krieg gemeldet hatten. Der Tod dieser Menschen, meint Bäumer noch, sei missbraucht worden, und erst durch die Neugestaltung werden sie nun angemessen geehrt. Doch wenn es wirklich darum gegangen sein sollte, hätte man den Siegfriedskopf gleich belassen können, wo und wie er war.

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Erschienen in MALMOE #35 (November 2006)