Lehre

Extreme Situation

Ein Interview mit AktivistInnen, die vor dem Kinosaal Flugblätter gegen den Film Paradise Now des Regisseurs Hany Abu-Assad über zwei palästinensische Selbstmordattentäterverteilt haben.


Was denkt Ihr über den Erfolg dieses Filmes?

Cristopher: Es ist verdächtig, wenn ein politischer Film, der sich mit Selbstmordattentaten auseinandersetzt, in Europa, wo 2 Drittel der Bevölkerung Israel als die größte Bedrohung des Weltfriedens bezeichnen, erst den Berlinale-Publikumspreis und dann den Amnesty International Friedenspreis bekommt. Das macht stutzig, vor allem wenn man an die Aussagen des Regisseurs denkt, der Selbstmordattentate nicht verurteilt, sondern für eine "sehr menschliche Reaktion auf eine extreme Situation" hält.

Ist es ein Propagandafilm?

C.: Es gibt einige ganz offensichtlich problematische Dinge und es gibt viele Details, die zusammen ein Bild ergeben, das antisemitische Muster bedienen kann. Es werden etwa die Opfer des Selbstmordanschlages nicht gezeigt und das Attentat als rein politische Handlung gegen die Besatzung dargestellt. Die israelische Seite wird gar nicht gezeigt, nur einmal spricht ein Israeli, der in der deutschen Synchronfassung lustigerweise einen Akzent hat.

Philip: Und der einzige Jude der spricht, ist natürlich ein Verräter, der für Geld alles tut. Ich glaube nicht, dass der Film sich eindeutig für Selbstmordattentate ausspricht. Es wird aber nie in Frage gestellt, gegen Israel als solches zu kämpfen, es wird als Faktum präsentiert, dass der Kampf gegen den Zionismus gut und notwendig ist. In Frage gestellt werden nur die Mittel.

C.: Der Film gibt sich sehr objektiv und dokumentarisch, es gibt viele Sequenzen mit der Handkamera und wenig Musik. So wird eine Faktenlandschaft suggeriert, die es in dieser Form aber nicht gibt.

Dorian: Es werden Tatsachen verdreht und ein falsches Bild von Selbstmordattentätern gezeichnet. Ihre Handlung wird als politischer Widerstand präsentiert, der antisemitische und islamistische Hintergrund wird verleugnet.

Ich habe bei der Kritik den Eindruck, dass 2 Ebenen vermischt werden: die der (unterstellten) Aussage des Filmes und die der Erzählung. Wie kann man einem Film, der eine subjektive Geschichte erzählt, vorwerfen nicht objektiv zu sein?

D.: Diese Vermischung machten die Produzenten bei der nachfolgenden Podiumsdiskussion: sie sagten, das sei Kunst und alles so subjektiv, dann aber betonten sie wieder das politische Anliegen des Films. Sie haben es immer gedreht, wie es grade passte.

Ist es nicht problematisch, einem Regisseur, der das Portrait eines Islamisten zeichnet, dessen Antisemitismus vorzuwerfen?

P.: Der Punkt ist, dass der Antisemitismus nicht nur von den Protagonisten transportiert wird, sondern im Film selbst enthalten ist, z.B. in der Art, wie Israel dargestellt wird, wie Juden dargestellt werden. Das Setting ist ganz eindeutig, schon nach 10 Sekunden weiß man bescheid, um was es geht.

C.: Man könnte eine ganze Reihe von klassischen antisemtischen Motiven nennen, bis hin zum Vorwurf der Brunnenvergiftung. Israel ist einfach an allem Schuld, sogar dass der Vater der Hauptfigur von den Palästinensern als Kollaborateur hingerichtet wurde. Das Problem ist nicht, dass die beiden Hauptfiguren antisemitisch sind (das wird ja nicht gezeigt), sondern dass um Empathie für sie geworben wird.

D.: Der Film sagt nicht, dass Selbstmordanschläge die einzige Möglichkeit sind, aber dass sie verständlich sind. Es wird angeregt, sich in die Rolle des Attentäters hineinzuversetzen.

Können islamistische Suicide-Bombers denn ernsthaft ein Identifikationsangebot für das europäische Publikum sein?

P.: Es wird ein völlig unrealistisches Bild von ihnen gezeichnet. Es wird nicht gezeigt, dass es religiös fanatisierte Leute sind, es wird z.B. so getan, als würde sie sich ihre Opfer aussuchen und absichtlich Kinder verschonen. Das hat mit der Realität nichts zu tun.

C.: Braucht es denn eine unmittelbare Identifikationsfigur? Zentral ist, dass die Tat nachvollziehbar wird, auch wenn man sie als falsch empfindet.

D.: So, wie die Attentäter als Widerstandskämpfer verkauft werden, sind sie gerade für Linke attraktiv, die sich gerne mit Völkern solidarisieren, die sich befreien.

... wobei die Linke einen bemerkenswerten Schwerpunkt auf dieses zu befreiende Volk legt. Ist das Hauptmerkmal der Anschläge, das Juden-Töten zum Selbstzweck, in dem Film erkennbar?

C.: Das Wort Jude kommt in dem Film nicht einmal vor, es wird nur von Besatzern gesprochen. In der Diskussion wurde uns erklärt, dass das in Palästina Synonyme sind - auch interessant.

Kann es eine Auseinandersetzung mit der verständlichen Frage geben, was in so einem Attentäter vorgeht, die nicht dem Vorwurf der Empathie ausgesetzt ist?

C.: Das denke ich schon. Es gibt Studien und psychologische Profile über Selbstmordattentäter, die abgefangen wurden. Die stehen aber in krassem Widerspruch zu dem, was in dem Film dargestellt wird.

P.: Da müsste man aber über Islam und über Antisemitismus reden, und das sind genau die Themen, die in dem Film ausgespart werden.


Erschienen in MALMOE #30 (2006)
Zurück