Lehre

Weissnix reloaded

Mit THE END OF THE NEUBACHER PROJECT erfolgt der cineastische Start in ein neues „Gedankenjahr“ durchaus nach Geschmack des Volkempfindens

Zugegeben: Regisseur Marcus J. Carney kann nichts dafür, dass sein Film fast zeitgleich mit „Hafner’s Paradise“ in die österreichischen Kinos kam, und auch seine Pressebetreuerin deutet an, die ständigen Doppelbesprechungen der beiden Filme leid zu sein. Das Unangenehmste für Carney ist dabei wohl das Missverständnis, er würde sich „mit der NS-Vergangenheit auseinandersetzen“, wie auch Der Standard irrt.

ZWAR BEGINNT das achtjährige NEUBACHER PROJECT mit dem Anspruch, die Nazi-Vergangenheit der eigenen Familie aufzuarbeiten, doch mutiert der Film dann zu einer intimen Mutter-Sohn-Geschichte. Carney (*1971) recherchiert zunächst über seinen Großvater Eberhard und Großonkel Herrmann Neubacher, ab 1938 Direktor des Lainzer Tiergartens der eine, Bürgermeister von Wien der andere. Befragt wird zunächst die Oma, die sich beim Lob „dieser Zeit“ gerade noch ans (gesellschaftliche) Verbotsgesetz hält, und dann die Mutter, Protagonistin der klassischen Verdrängung in der 2. Generation, die während der Dreharbeiten an Krebs erkrankt, und auf deren Sterben Carney ungeschnitten die Kamera hält: Schuld, Familiendynamik und tradierte Verdrängung werden zum eigentlichen Thema des Filmes.

Die behauptete Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit beschränkt sich auf wahllos wirkende historische Aufnahmen, die im großen und ganzen ohne Kommentar und Kontextualisierung bleiben: die ungeliebte Fahrradsteuer hat der Bürgermeister abgeschafft, erfährt man – dass er sein Amt auch gleich von den ungeliebten jüdischen MitarbeiterInnen „gesäubert“ hat, hingegen nicht. Das erfährt man von der Historikerin Margit Reiter, die sich bei der Podiumsdiskussion im Anschluss an eine Vorführung des Filmes den Unmut eines großen Teils des Publikums durch die so schlichte wie richtige Feststellung zuzieht, dass der Film sich kaum für historische Tatsachen, ja nicht einmal für die Phantasien der Nachkommen über die Taten interessiert.

IN DER TAT: das PROJECT geriert sich zwar als mutige Investigation, lässt aber genau jene Leerstellen unberührt, die zu thematisieren es sich rühmt, und perpetuiert das Schweigen, das es vorgibt zu brechen: Wir haben Täter, aber wir haben keine Taten. Dies ist sehr wohl eine Parallele zum ansonsten kaum vergleichbaren „Hafner“-Film. Aber das wäre ja auch „außer für Spezialisten nicht so wahnsinnig interessant“, wie Carney im Interview meint, er weiß, was sich das Publikum von einem Filmemacher erwartet: „Recherche ist wichtig, aber am Ende steht der Wunsch, das Publikum emotional zu berühren, dann ist es für mich Kino.“ Die erzeugten Emotionen werden dem Film auch stets zuvorderst zu Gute gehalten: die Unfähigkeit zu trauern, Symptom des von Carney zum Ausgangspunkt genommenen „Morbus Austriacus“, wird therapiert, indem die Audience in sein „mourning“ um die Mutter durchaus beeindruckend hineingezogen wird.

HIER KEHRT EIN MOTIV des prekären Gedenkens 2005 wieder: Die erzeugte Betroffenheit, das Mitgefühl gilt ja nicht etwa den Opfern der Shoah, sondern dem „Eigenen“. In der Tat wird die Mutter, die an der „Last des Nazitums“ (Die Presse) zerbricht, zum eigentlichen Opfer, und bei der Podiumsdiskussion mit dieser Kritik konfrontiert, hat Carney tatsächlich die Stirn zu sagen: Die Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern ist ausschließlich in der ersten Generation von Bedeutung (sic!), alle sind Opfer, denn alle haben ein Trauma. Dass er diese Frage in erster Linie für ein „rhetorisches Problem“ hält, glaubt man ihm aufs Wort (nachdem er ausgerechnet Margit Reiter, einer ausgewiesenen Expertin für Familiengedächtnis und NS, vorgehalten hat, ein methodologisches Problem zu haben), wenn ihn auch der stürmische Beifall des Saales ausgerechnet hierzu vielleicht doch unangenehm berührt haben mag: Die Mutter ist ein „absolutes Opfer“, pflichtet eine Frau ihm bei. Die löbliche Ambition des Filmes, sich der Ambivalenz zwischen emotionaler Nähe und (tradierter) „Schuld“ zu stellen, kippt in ein Pathos, das – ob beabsichtigt oder nicht – eine entlastende Funktion erfüllt: Diese Ambivalenzen aber „ohne jeden Pathos aufzuzeigen, stellt einen zentralen Aspekt im Darstellen von Tätern und Täterinnen dar, und zwar stets in klarer Abgrenzung zu den Opfern und immer im Blick haltend, dass unabhängig davon, was sie erlebt haben, es in jedem Fall aus der NS-Vernichtungspolitik und Kriegspolitik resultiert.“ (Maria Pohn-Weidinger in MALMOE 33)

VIEL LIEBER HÖRT MAN bei der Diskussionsveranstaltung, dass der Film auch sehr schön zum Ausdruck bringe, wie viel sich nach und dank „Heldenplatz“ und Waldheim zum Guten verändert hat in diesem Land, dass das „it went well“ am Ende des Filmes doch Hoffnung mache und wir unsere Vorfahren – unsere Vergangenheit – endlich in Frieden ruhen lassen können, wie auch das Close Up des Neubacher’schen Grabsteines unmissverständlich nahelegt. Der Film will und zelebriert ein Happy End, und einem einsamen Kritiker im Saal, der genau diesen Drang problematisiert, wird von der gefühlsseligen Gemeinschaft empört das Wort abgeschnitten. „Zerebralisierung“ nennt auch Carney eine solche politische Kritik im Interview, er kann mit dem „beleidigt“ Sein „manch professioneller Betrachter“ gut leben.

Natürlich kann man auch ihm nicht jede Facette dieses bezeichnenden Rezipierens in die Schuhe schieben und muss sich vielmehr fragen, weshalb sein Film wie der von Günter Schwaiger derart breite positive Resonanz erfährt. Könnte ein Grund auch darin zu suchen sein, dass durch glaubwürdige Gutgemeintheit scheinbar neutralisierte Apologie und Relativierung genau jene Zutaten sind, unter deren Bedingung man sich hierzulande diese Auseinandersetzungen gefallen lässt?

Ingo Lauggas

Erschienen in MALMOE # 40 (Februar 2008)

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