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Max Brod an Franz Kafka
[Prag]
Lieber, Deine Methode des unendlichen Briefes ist sehr verführerisch
für den faulen Beantworter. Der bin ich aber nicht und falle dir lieber
ins Wort.
Deine Schlafbeschwerden - kommen sie nicht vielleicht
daher, dass du allzu lange schon an demselben Ort bist, auf seine
Geräusche eingestellt- und außerdem ist wohl diese Villa mit
ihren Balkonen nicht sehr praktisch für Ruhesuchende. - Deine Idee,
an die Ostsee zu kommen, wäre herrlich. Irgendwohin, wo das rauschende
Meer alle Kleingeräusche übertönt. Nach diesem Prinzip habe
ich ja früher in der Eisenbahn am besten geschlafen. Wir könnten
an der Ostsee wunderbar zusammentreffen. Deine kleinen Badeorte stehen
schon seit längerer Zeit auf meinem Programm. Von Niendorf habe ich
auch schon Prospekt, das aber etwas verdächtig ist, als ob dort nur
ein sehr schmaler oder gar kein Strand wäre (laut Bildern). Es heißt
da etwa so: "Durch Verlängerung der Buhnen wurde ein ausgezeichneter
Badegrund geschaffen." Was sind Buhnen und warum müssen sie
verlängert werden?? - Ich habe jetzt Timmendorfer Strand um Prospekt
ersucht. Ich beabsichtige am 16. Juli hier abzufahren und etwa 2 bis 3
Wochen zu bleiben. Ich fahre mit meiner lieben Freundin Emmy. Die aber
ist schon längst genau über dich unterrichtet, obwohl sie sich
deinen Namen nicht merken kann. Sie schrieb mir einmal so rührend,
dass sie jeden Abend bete für meine und meines Freundes Gesundheit.
- Es wäre herrlich, wenn wir zu dritt beisammen wären. Du darfst
nicht glauben, dass du stören würdest. Im Gegenteil, man
könnte fast sagen, dass die Gegenwart eines Dritten gegenüber
allfälligen Prager u. Berliner Bekannten schützend wirken würde.
Am besten wäre es freilich so, wenn wir in Nachbarorten wohnten, so
dass wir immer am Nachmittag zusammenwären, am Vormittag allein.
Das schiene mir überhaupt die idealste Lösung meiner Ferienfrage.
Ob es dir behagen würde, mußt natürlich du dich fragen.
Schreibe mir recht bald ganz offen. Ich denke mir zwei Orte, die so aneinandergrenzen
wie etwa Heringsdorf und Ahlbeck. So grenzen, wenn ich
nicht irre (dh. laut Karte) auch die kleinen Bäder der Lübecker
Bucht aneinander. - Ich nehme an, dass du allein fährst. Wenn
du mit deiner Schwester fahren würdest, so möchte es mir genant
sein. - Überlege dir also gut und nicht zu lange. -Bitte, schreibe
mir wieder an die vorige Adresse: Herrn Max Koschel - Prag 1 postrest.
"Herrn" nicht vergessen, damit es ins richtige Fach kommt dh.
nicht zu den Chiffreadressen.
Von mir ist wenig zu sagen, als dass ich in
einem maßlosen Glück lebe, wie ich es mein Leben lang nicht
gekannt habe. Dies äußerst sich u. a. in einem sehr schönen
Verhältnis zu meiner Frau, die ich neulich in Franzensbad besucht
habe. Es war das erstemal, dass ich sie besuche, wir waren beide fast
verlegen in der neuen Situation. - Ich finde, dass du meiner Frau
ein wenig Unrecht tust in deinem letzten Brief, wenn du nach ihren Freundinnen
fragst. Welche Frau hat denn richtige Freundinnen? - Aber wohl hat meine
Frau sehr nette Frauen um sich, mit gegenseitiger Hochschätzung z.
B. Frau Professor Goll, Frau Hodáč, eine ausgezeichnete Frau,
mit der sie sogar korrespondiert u.s.f. - Das Urteil von M. richtete sich
wohl mehr gegen mich, der ich damals in der Werfel-Clique so unbeliebt
war, als gegen Elsa selbst.
Mein Glück beruht (grob gesagt) darauf, dass
ich mich wahnsinnig auf die Ferien freue (so dass ich oft glaube,
es nicht aushalten zu können), ferner darauf, dass diese Vorfreude
seltsamerweise mir erotisch fast völlig genügt, so dass
ich ungestört arbeiten kann und tatsächlich auch mit einer Lust
wie noch nie arbeite. 20 Kapitel des Romans "FranzI" (Aufzeichnungen
aus einem Liebesreich - oder vielleicht anderer Untertitel: Eine Liebe
zweiten Ranges) sind fertig, -fehlen nur vier. Zum erstenmal im Leben schreibe
ich ein größeres Werk ohne Unterbrechung. - Hauptglück
ist natürlich, dass ich dem Banne von Frau G (Esther) gänzlich
entrückt bin. Die Kraft habe ich nur durch Emmy gefunden. - Ob natürlich
die Ferien dieses schöne Verhältnis nicht brechen werden, weiß
ich nicht. - Vorläufig jedenfalls bin ich so unverschämt glücklich,
dass ich (um auch äußerlich diesen Lebensabschnitt zu kennzeichnen)
mir eben den Schnurrbart abnehmen lasse. - Da du zarte Fragen nicht beantwortest,
sende ich dir beiliegenden "amtlichen Fragebogen" "zur
ehebaldigsten Ausfüllung und Berichterstattung". -
Dein Max
Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.
Heringsdorf und Ahlbeck: Beide Ostseebäder auf der Insel Usedom.
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |