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Max Brod an Franz Kafka

[Prag]

12/6 [1921] Montag
 

Lieber, Deine Methode des unendlichen Briefes ist sehr verführerisch für den faulen Beantworter. Der bin ich aber nicht und falle dir lieber ins Wort.

    Deine Schlafbeschwerden - kommen sie nicht vielleicht daher, dass du allzu lange schon an demselben Ort bist, auf seine Geräusche eingestellt- und außerdem ist wohl diese Villa mit ihren Balkonen nicht sehr praktisch für Ruhesuchende. - Deine Idee, an die Ostsee zu kommen, wäre herrlich. Irgendwohin, wo das rauschende Meer alle Kleingeräusche übertönt. Nach diesem Prinzip habe ich ja früher in der Eisenbahn am besten geschlafen. Wir könnten an der Ostsee wunderbar zusammentreffen. Deine kleinen Badeorte stehen schon seit längerer Zeit auf meinem Programm. Von Niendorf habe ich auch schon Prospekt, das aber etwas verdächtig ist, als ob dort nur ein sehr schmaler oder gar kein Strand wäre (laut Bildern). Es heißt da etwa so: "Durch Verlängerung der Buhnen wurde ein ausgezeichneter Badegrund geschaffen." Was sind Buhnen und warum müssen sie verlängert werden?? - Ich habe jetzt Timmendorfer Strand um Prospekt ersucht. Ich beabsichtige am 16. Juli hier abzufahren und etwa 2 bis 3 Wochen zu bleiben. Ich fahre mit meiner lieben Freundin Emmy. Die aber ist schon längst genau über dich unterrichtet, obwohl sie sich deinen Namen nicht merken kann. Sie schrieb mir einmal so rührend, dass sie jeden Abend bete für meine und meines Freundes Gesundheit. - Es wäre herrlich, wenn wir zu dritt beisammen wären. Du darfst nicht glauben, dass du stören würdest. Im Gegenteil, man könnte fast sagen, dass die Gegenwart eines Dritten gegenüber allfälligen Prager u. Berliner Bekannten schützend wirken würde. Am besten wäre es freilich so, wenn wir in Nachbarorten wohnten, so dass wir immer am Nachmittag zusammenwären, am Vormittag allein. Das schiene mir überhaupt die idealste Lösung meiner Ferienfrage. Ob es dir behagen würde, mußt natürlich du dich fragen. Schreibe mir recht bald ganz offen. Ich denke mir zwei Orte, die so aneinandergrenzen wie etwa Heringsdorf und Ahlbeck. So grenzen, wenn ich nicht irre (dh. laut Karte) auch die kleinen Bäder der Lübecker Bucht aneinander. - Ich nehme an, dass du allein fährst. Wenn du mit deiner Schwester fahren würdest, so möchte es mir genant sein. - Überlege dir also gut und nicht zu lange. -Bitte, schreibe mir wieder an die vorige Adresse: Herrn Max Koschel - Prag 1 postrest. "Herrn" nicht vergessen, damit es ins richtige Fach kommt dh. nicht zu den Chiffreadressen.

    Von mir ist wenig zu sagen, als dass ich in einem maßlosen Glück lebe, wie ich es mein Leben lang nicht gekannt habe. Dies äußerst sich u. a. in einem sehr schönen Verhältnis zu meiner Frau, die ich neulich in Franzensbad besucht habe. Es war das erstemal, dass ich sie besuche, wir waren beide fast verlegen in der neuen Situation. - Ich finde, dass du meiner Frau ein wenig Unrecht tust in deinem letzten Brief, wenn du nach ihren Freundinnen fragst. Welche Frau hat denn richtige Freundinnen? - Aber wohl hat meine Frau sehr nette Frauen um sich, mit gegenseitiger Hochschätzung z. B. Frau Professor Goll, Frau Hodáč, eine ausgezeichnete Frau, mit der sie sogar korrespondiert u.s.f. - Das Urteil von M. richtete sich wohl mehr gegen mich, der ich damals in der Werfel-Clique so unbeliebt war, als gegen Elsa selbst.

    Mein Glück beruht (grob gesagt) darauf, dass ich mich wahnsinnig auf die Ferien freue (so dass ich oft glaube, es nicht aushalten zu können), ferner darauf, dass diese Vorfreude seltsamerweise mir erotisch fast völlig genügt, so dass ich ungestört arbeiten kann und tatsächlich auch mit einer Lust wie noch nie arbeite. 20 Kapitel des Romans "FranzI" (Aufzeichnungen aus einem Liebesreich - oder vielleicht anderer Untertitel: Eine Liebe zweiten Ranges) sind fertig, -fehlen nur vier. Zum erstenmal im Leben schreibe ich ein größeres Werk ohne Unterbrechung. - Hauptglück ist natürlich, dass ich dem Banne von Frau G (Esther) gänzlich entrückt bin. Die Kraft habe ich nur durch Emmy gefunden. - Ob natürlich die Ferien dieses schöne Verhältnis nicht brechen werden, weiß ich nicht. - Vorläufig jedenfalls bin ich so unverschämt glücklich, dass ich (um auch äußerlich diesen Lebensabschnitt zu kennzeichnen) mir eben den Schnurrbart abnehmen lasse. - Da du zarte Fragen nicht beantwortest, sende ich dir beiliegenden "amtlichen Fragebogen" "zur ehebaldigsten Ausfüllung und Berichterstattung". -

Dein Max        



Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Heringsdorf und Ahlbeck: Beide Ostseebäder auf der Insel Usedom.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at