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An Robert Klopstock
Mein lieber Klopstock,
Liegehalle, in der alten Schlaflosigkeit, mit der alten Hitze in den Augen,
der Spannung in den Schläfen:
. . . ungläubig in dieser Hinsicht war ich nie, aber erstaunt, ängstlich,
den Kopf voll so vieler Fragen als es Mücken auf dieser Wiese gibt.
In der Lage etwa dieser Blume neben mir, die nicht ganz gesund ist, den
Kopf zwar zur Sonne hebt, wer täte das nicht? aber voll geheimer Sorgen
ist wegen der quälenden Vorgänge in ihrer Wurzel und in ihren
Säften, etwas ist dort geschehn, geschieht noch immer dort, aber sie
hat nur sehr undeutliche, quälend undeutliche Nachricht darüber
und kann doch nicht jetzt sich niederbeugen, den Boden aufkratzen und nachsehn,
sondern muß es den Brüdern nachtun und sich hoch halten, nun
sie tut es auch, aber müde.
Ich könnte nur einen andern Abraham denken, der
- freilich würde er es nicht bis zum Erzvater bringen, nicht einmal
bis zum Altkleiderhändler - der die Forderung des Opfers sofort, bereitwillig
wie ein Kellner zu erfüllen bereit wäre, der das Opferaber doch
nicht zustandebrächte, weil er von zuhause nicht fort kann, er ist
Unentbehrlich, die Wirtschaft benötigt ihn, immerfort ist noch etwas
anzuordnen, das Haus ist nicht fertig, aber ohne dass sein Haus fertig
ist, ohne diesen Rückhalt kann er nicht fort, das sieht auch die Bibel
ein, denn sie sagt: "er bestellte sein Haus" und Abraham hatte
wirklich alles in Fülle schon vorher; wenn er nicht das Haus gehabt
hätte, wo hätte er denn sonst den Sohn aufgezogen, in welchem
Balken das Opfermesser stecken gehabt?
am andern Tag: noch viel über diesen Abraham nachgedacht, aber es
sind alte Geschichten, nicht mehr der Rede wert; besonders der wirkliche
Abraham nicht, er hat schon vorher alles gehabt, wurde von der Kindheit
an dazu geführt ich kann den Sprung nicht sehn. Wenn er schon alles
hatte und doch noch höher geführt werden sollte, mußte
ihm nun, wenigstens scheinbar, etwas fortgenommen werden, das ist folgerichtig
und kein Sprung. Anders die oberen Abrahame, die stehn auf ihrem Bauplatz
und sollen nun plötzlich auf den Berg Morija; womöglich haben
sie noch nicht einmal einen Sohn und sollen ihn schon opfern. Das sind
Unmöglichkeiten und Sarah hat Recht, wenn sie lacht. Bleibt also nur
der Verdacht, dass diese Männer absichtlich mit ihrem Haus nicht
fertig werden und - um ein sehr großes Beispiel zu nennen - das Gesicht
in magischen Trilogien verstecken, um es nicht heben zu müssen und
den Berg zu sehn, der in der Ferne steht.
Aber ein anderer Abraham. Einer, der durchaus richtig opfern will und überhaupt
die richtige Witterung für die ganze Sache hat, aber nicht glauben
kann, dass er gemeint ist, er, der widerliche alte Mann und sein Kind,
der schmutzige Junge. Ihm fehlt nicht der wahre Glaube, diesen Glauben
hat er, er wurde in der richtigen Verfassung opfern, wenn er nur glauben
könnte, dass er gemeint ist. Er fürchtet, er werde zwar
als Abraham mit dem Sohne ausreiten, aber auf dem Weg sich in Don Quixote
verwandeln. Über Abraham wäre die Welt damals entsetzt gewesen,
wenn sie zugesehen hätte, dieser aber fürchtet, die Welt werde
sich bei dem Anblick totlachen. Es ist aber nicht die Lächerlichkeit
an sich, die er fürchtet - allerdings fürchtet er auch sie, vor
allem sein Mitlachen - hauptsächlich aber fürchtet er, dass
diese Lächerlichkeit ihn noch älter und widerlicher, seinen Sohn
noch schmutziger machen wird, noch unwürdiger, wirklich gerufen zu
werden. Ein Abraham, der ungerufen kommt! Es ist so wie wenn der beste
Schüler feierlich am Schluß des Jahres eine Prämie bekommen
soll und in der erwartungsvollen Stille der schlechteste Schüler infolge
eines Hörfehlers aus seiner schmutzigen letzten Bank hervorkommt und
die ganze Klasse losplatzt. Und es ist vielleicht gar kein Hörfehler,
sein Name wurde wirklich genannt, die Belohnung des Besten soll nach der
Absicht des Lehrers gleichzeitig eine Bestrafung des Schlechtesten sein.
Schreckliche Dinge - genug.
Sie klagen über das einsame Glück und wie ist es mit dem einsamen
Unglück? - wirklich, es ist fast ein Paar.
Von Hellerau kommt nichts, es macht mich trübsinnig. Wenn Hegner nachdenkt,
so hätte er doch gleich eine Karte schicken können mit der Mitteilung,
dass er nachdenkt. Unser Interesse an Hellerau ist
unlöslich eines.
Ihr K
Abraham Bezieht sich auf Kierkegaards "Furcht
und Zittern".
Hellerau : Kafka versuchte, für Klopstock
einen Posten in der Druckerei Hegner (Hellerau) zu erlangen.
Letzte Änderung: 18.3.2019 werner.haas@univie.ac.at