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[An Ottla Kafka]
Liebe Ottla, das hast Du also ausgezeichnet gemacht, allerdings hätte
ich an Deiner Stelle die Gesundung des Herrn Fikart abgewartet aus dem
Grunde weil er es mir vielleicht übelnehmen wird ihn übergangen
zu haben. Aber trotzdem bin ich froh noch ein wenig hierbleiben zu können.
Vielleicht fahre ich dann im Juni des übergangs halber noch auf paar
Tage nach Böhmen irgendwohin, aber nicht eigentlich
weil es mir zu heiß wäre. Zum arbeiten allerdings ist sehr heiß,
man klagt sogar in den Zeitungen über vorzeitige Hitze, nicht einmal
am Abend (nur am Morgen) halte ich es aus eigentlich im Garten zu arbeiten
(ganz leichtes natürlich Unkraut durchhacken, Kartoffeln behäufeln,
Rosen beschneiden, eine tote Amsel begraben u. dgl.) aber für das
Daliegen ist es im Durchschnitt kühl und schön, nicht wärmer
als in Prag. Und an der Passer, die aus dem Hochgebirge kommt und kalte
Luft mitgerissen bringt, gibt es eine quergestellte Bank, wo es einen in
der größten Mittagshitze fast kalt durchweht.
dass der Direktor Dich nicht viel angeschaut hat, beweißt kein
Mißfallen, ich hätte Dich darauf vorbereiten sollen. Es ist
das eher ein rhetorischer Effekt oder richtiger ein Verzicht auf das Auskosten
der Wirkung. Der gute Redner oder der welcher es zu sein glaubt, verzichtet
in seinem Selbstbewußtsein auf das Ablesen der Wirkung vom Gesicht
des andern, vielmehr er muß gar nichts ablesen, ist tief von der
Wirkung überzeugt, braucht diese Anregung nicht. übrigens spricht
doch der Direktor wirklich außerordentlich gut, bei
so formellen Gelegenheiten ist es vielleicht nicht so zur Geltung gekommen.
Ich danke Dir auch noch nachträglich für die Zeitungen, an dem
Tag, als ich sie bekam war ich so unausgeschlafen, dass ich nicht
begreifen konnte, dass eine solche Menge Zeitungen ohne einen bestimmten
Zweck etwa gar zur Unterhaltung gelesen werden könnten. Später
habe ich doch manches Interessante in ihnen gefunden. Die Rundschau hebe
mir auf, ich brauche sie hier nicht.
Aus den Worten des Direktors könnte man annehmen, dass er sehr
bereit wäre mich zu pensionieren. Es ist doch sinnlos einen Beamten
zu halten, den man für so erholungsbedürftig hält, dass
man immer wieder ihm Urlaub geben will. Oder ist es das Zeichen weiteren
Weltuntergangs? Letzthin erzählte einer von einem Gespräch von
früheren Heereslieferanten. Sie klagten über die Menge Kriegsanleihe,
die sie liegen haben. Nur einer, gerade derwelcher am meisten geliefert
hatte, sagte, er habe keine. Er erklärte das damit, er habe sich gleich
gesagt bei den Preisen, die er mache könne kein Staat auf die Dauer
bestehn, deshalb habe er nicht gezeichnet. Könnte das nicht mancher
auch der Welt gegenüber sagen?
Wilder Kopf? Nun es ist schon lange und der Kopf ist wieder gut geworden.
Der General - ich habe von ihm schon geschrieben, nicht?
- hat heute im Biergarten (ja, ich habe ein kleines Bier zwischen den Fingern
gedreht) seine feste überzeugung ausgesprochen, dass ich heiraten
werde und hat auch meine künftige Frau beschrieben. Er kennt nämlich
mein Alter nicht und hält mich für etwas ganz Junges, bei ihm
ist es angenehm, ich habe ihn gern und sage ihm mein Alter nicht. Dabei
ist er viel jünger und ich könnte nicht in Weisheit sein Großvater
sein. Er ist 63 Jahre alt, hat aber eine so schlanke, straffe, beherrschte
Gestalt, dass er z. B. im Halbdunkel des Gartens, im kurzen überzieher,
die eine Hand an der Hüfte, die andere auf der Zigarette am Mund wie
ein junger Wiener Lieutenant aus den alten österreichischen Zeiten
aussieht.
Alles Gute
Franz
Grüß doch einmal ganz besonders Elli und Valli ordentlich von
mir. Und dann in anderem Ton das Fräulein natürlich. Oskar? Felice?
Memoiren einer Socialistin? Schwimmschule?
nach Böhmen: Kafka wollte in Karlsbad zunächst
Julie Wohryzek treffen, dann auch seine Eltern, die beabsichtigten, im
Juni Franzensbad aufzusuchen (vgl. Nr. 81, 84, M 52 und die Anmerkungen
zu Nr. 75), gab jedoch diesen Plan bald auf (M 53 f.), konnte deswegen
ein paar Tage länger in Meran bleiben (M 66) und fuhr dann dafür
am 28. Juni zu Milena nach Wien (M 76 f.).
bei so formellen Gelegenheiten: Kafka an Brod über
die Sprachkraft des Direktors: "es hat sich diese Kraft in seiner
Rede, seitdem er Direktor ist, fast verloren, der Bureaukratismus läßt
sie dort nicht mehr aufkommen, er muß zu viel sprechen." (Br
308, vgl. die Anmerkungen zu Nr. 79)
Der General: Vgl. Br 270 und 274 f.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at