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An Milena Jesenská
Ich rechne: Samstag geschrieben, trotz des Sonntags schon Dienstag mittag
angekommen, Dienstag dem Mädchen aus der Hand gerissen, eine so
schöne Postverbindung und Montag soll ich fortfahren, sie aufgeben.
Sie sind so gut sich zu sorgen, Sie entbehren Briefe, ja vorige Woche habe
ich paar Tage nicht geschrieben aber seit Samstag jeden Tag, so dass
Sie inzwischen 3 Briefe bekommen, denen gegenüber Sie die brieflose
Zeit loben werden. Sie werden erkennen, dass durchaus alle Ihre Befürchtungen
berechtigt sind, also dass ich Ihnen sehr böse bin im allgemeinen
und dass im besondern in Ihren Briefen mir vieles gar nicht gefallen
hat, dass mich die Feuilletons geärgert haben u. s. w. Nein Milena
vor alledem müssen Sie nicht Angst haben, aber vor dem Gegenteil zittern
Sie!
Es ist so schön dass ich Ihren Brief bekommen habe, Ihnen mit
dem schlaflosen Gehirn antworten muß. Ich weiß nichts zu schreiben,
ich gehe nur hier zwischen den Zeilen herum, unter dem Licht Ihrer Augen,
im Atem Ihres Mundes wie in einem schönen glücklichen Tag, der
schön und glücklich bleibt, auch wenn der Kopf krank ist, müde
und man Montag wegfährt über München.
Ihr F
Sie sind meinetwegen nachhause gelaufen, ohne Atem? Ja sind Sie denn nicht
krank und habe ich keine Sorge mehr um Sie? Es ist wirklich so, ich habe
gar keine Sorge mehr, - nein, ich übertreibe jetzt wie damals, aber
es ist eine Sorge so, wie wenn ich Sie hier hätte unter meiner Aufsicht,
mit der Milch die ich trinke gleichzeitig Sie fütterte, mit der Luft,
die ich atme, die mir aus dem Garten herschlägt gleichzeitig Sie kräftigte,
nein, das wäre sehr wenig, Sie viel mehr kräftige als mich.
Wahrscheinlich werde ich aus verschiedenen Gründen Montag noch nicht
fahren, sondern erst ein wenig später. Dann fahre ich aber direkt
nach Prag, es gibt neuestens einen direkten Schnellzug Bozen-München-Prag.
Falls Sie mir noch paar Zeilen schreiben wollten, könnten Sie es tun;
sollten sie mich nicht erreichen, werden sie mir nach Prag nachgeschickt.
Bleiben Sie mir gut!
F.
Man ist doch ein Ausbund von Dummheit. Ich lese ein Buch über Tibet;
bei der Beschreibung einer Niederlassung an der tibetanischen Grenze im
Gebirge, wird mir plötzlich schwer ums Herz, so trostlos verlassen
scheint dort das Dorf, so weit von Wien. Wobei ich dumm die Vorstellung
nenne, dass Tibet weit von Wien ist. Wäre es denn weit?
Dienstag
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at