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Brief an Max Brod
[Meran, Ende Mai/Anfang Juni 1920]


Liebster Max, wie hast Du Deinen letzten Reisewunsch auf der Treppe - erinnerst Du Dich? - gemeint? Wenn Du es als Prüfung gemeint hast, ich fürchte, dass ich sie nicht bestehe. Mich härten Prüfungen nicht ab, ich bekomme die Schläge nicht auf meinem Platz, sondern laufe hin und verschwinde unter ihnen. Soll ich dafür danken, dass ich nicht heiraten konnte? Ich wäre dann sofort geworden, was ich jetzt allmählich werde: toll. Mit kürzern und kürzern Erholungspausen, in denen nicht ich, sondern das Andere Kräfte sammelt.

Das Merkwürdige worauf ich doch endlich aufmerksam werden könnte, ist, dass alle Menschen zu mir über die Maßen gut und wenn ich will, gleich aufopfernd sind von dem für mich niedrigsten bis zu den höchsten. Ich habe daraus auf die Menschennatur im allgemeinen geschlossen und mich dadurch noch mehr bedrückt gefühlt. Aber es ist wahrscheinlich unrichtig, sie sind durchwegs so nur zu demjenigen, dem Menschen überhaupt nicht helfen können. Ein besonderer Geruchssinn zeigt ihnen diesen Fall an. Auch zu Dir Max sind viele (nicht alle) Menschen gut und aufopfernd, aber Du zahlst auch unaufhörlich der Welt dafür, es ist ein regelrechter Geschäftsverkehr (darum kannst Du auch menschlich Dinge ausbalancieren, an die ich kaum rühren darf) ich aber zahle nichts oder zumindest nicht den Menschen.

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Beiliegend ein Brief des Vater Janowitz, immerhin erfreulich, er verdient wohl eine freundliche Antwort, der Brief wurde mir erst jetzt nachgeschickt. Grüße bitte Felix und Oskar. Wie geht es denn in Palästina zu!

Franz        
 


Quelle: Franz Kafka ; Max Brod: Eine Freundschaft (II). Briefwechsel. Hrsg. von Malcolm Pasley. Frankfurt am Main 1989.


Brief des Vater Janowitz: Siehe Anm.11 oben. Der Vater hat offenbar versucht, in dieser Sache begütigend einzugreifen. (Sein dritter Sohn, Otto, war als Pianist und Komponist ein enger Mitarbeiter von Karl Kraus.)


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at