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Franz Kafka an Kurt Wolff
Sehr geehrter Herr Wolf; vergessen habe ich nichts, aber als ich damals
im Dezember den Urlaub schon fast hatte, verkühlte ich mich ein wenig,
der Arzt sah den Gesamtzustand an und als er von München hörte,
riet er sehr ab, empfahl dagegen Meran oder dergleichen.
Darin mußte ich ihm recht geben, dass meine Gesundheit nicht
zuverlässig war und ich daher den Urlaub nicht mit der Freiheit und
Sicherheit hätte verbringen können, wie er allein mir hätte
nützen können; da ich aber München und einen solchen Urlaub
nicht haben konnte, wollte ich lieber gar nichts haben - übrigens
wartete die ganze Wage auf dieses Übergewicht - und blieb. Ihnen Herr
Kurt Wolff antwortete ich auch lieber nicht, denn was hätten jetzt
lange Erklärungen sollen, nachdem ich kurz vorher versucht hatte,
Sie sogar für meine Milch-Bedürfnisse zu interessieren (in Wirklichkeit
hatte ich damit nur möglichst viel Realität gleich am Anfang
in den Plan hineintreiben wollen).
Nun ist es also zu diesem Gesundheitsurlaub, den allein ich haben wollte,
nicht gekommen - vielleicht bleibt er mir für später aufgehoben
- aber ein Krankheitsurlaub wird jetzt im Vorfrühling nötig.
Da ich schon nach Bayern hin gerichtet war, ließ ich mir einen Prospekt
vom Sanatorium Kainzenbad bei Partenkirchen schicken, aber gerade heute
bekomme ich von der sehr langsam und fast widerwillig Auskunft gebenden
Verwaltung die Nachricht, dass erst Ende März ein Zimmer frei
wird, fast ein wenig zu spät. Nun brauche ich ja im Grunde weder Sanatorium
noch ärztliche Behandlung, im Gegenteil, beides schadet eher, sondern
nur Sonne, Luft, Land, veg. Essen, das alles weiß ich mir aber außerhalb
Böhmens in dieser Jahreszeit nur in Sanatorien zu verschaffen. Wüßten
Sie also, sehr geehrter Herr Wolff, in dieser Hinsicht für mich einen
Rat, würde ich ihn natürlich dankbar annehmen, sonst würde
ich wohl Ende März nach Kainzenbad fahren.
Mit bestem Dank und Gruß Ihr herzlich ergebener
F. Kafka
Meran: Kafka war von April bis Juni 1920 in Meran.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at