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An M. E.
Liebe Minze, nein, das Vertrauen zur Unendlichkeit des Lebens wollte ich
Ihnen nicht nehmen (es besteht auch diese Unendlichkeit, nur nicht im gewöhnlichen
Sinn), konnte es Ihnen auch nicht nehmen, da Sie es selbst im Grunde nicht
haben, ich meine: es bewußt nicht haben. Wenn ich also etwas dazu
sagte, so wollte ich nur, dass Sie sich selbst, Ihrem bessern Selbst
glauben. Übrigens wäre auch Minze als Trauerweide gelegentlich
ganz hübsch, zumindest -rund gerechnet -10 mal hübscher als Minze-Kleopatra.
Merkwürdig, dass in Ihrem Brief die "schönen Stunden"
und die "Dummheiten" so nah beisammen stehn. Das kann doch
nicht das Gleiche sein, eher das Entgegengesetzte. "Schön"
ist doch wohl die Stunde, in der man besser ist als sonst und "dumm"
die, in der man schlechter ist. Die "schönen Stunden"
erkauft man nicht mit trüben Stimmungen, im Gegenteil, "schöne
Stunden" geben noch Licht aller grauen Zukunft. Für "Dummheiten"
zahlt man allerdings Lehrgeld, und zwar sofort, selbst wenn mans nicht
weiß, mit der linken Hand macht man die "Dummheit" und
mit der Rechten zahlt man gleichzeitig Lehrgeld unaufhörlich, bis
man nicht mehr weiter kann. Und "Dummheiten" allerdings macht
jeder Mensch, liebe Minze, wie viel, wie viel! Man ist so überbeschäftigt
damit, dass man kaum Zeit zu etwas anderem hat. Was aber kein Grund
ist, sich damit abzufinden und das tun Sie auch gewiß nicht, sonst
wären Sie ja keine liebe Minze.
Wer ist der Onkel, der mit Ihnen und mit dem Sie einverstanden scheinen?
Warum erwähnen Sie nichts von der Großpriesener Volontärsmöglichkeit?
Ich lege hier ein Inserat bei, das ich oft, auch noch im Jahre 18, in einer
jüdischen Zeitschrift gefunden habe. Schreiben Sie vielleicht rekommandiert
hin: "Immenhof (Henny Rosental), Deutsches Reich, Dessow, Mark".
Ich glaube, es ist nicht weit von Berlin, ich habe es auch privat loben
hören.
Wie fiel eigentlich Ihre Holzmindner Angelegenheit im Einzelnen aus?
Was machen Sie in Karlsbad? Nichtstun ist eine der größten und
verhältnismäßig leicht zu beseitigenden "Dummheiten".
Was lesen Sie?
Was waren das für Wünsche, die ich vergessen habe. Doch nicht
etwa mein Bild. Das habe ich absichtlich nicht geschickt. Sind meine Augen
in Ihrer Erinnerung, Minze, wirklich klar, jung, ruhig, dann mögen
sie dort so bleiben, dann sind sie dort besser aufgehoben als bei mir,
denn hier sind sie trüb genug und immer unsicherer geworden mit kleinen
Schwankungen in 36jährigem Offen-sein. In der Photographie kommt das
zwar nicht heraus, aber dann ist sie desto unnötiger. Sollten meine
Augen einmal schöner, reiner werden, dann bekommen Sie ein Bild, aber
dann wird es auch wieder nicht nötig sein, denn dann würden sie
doch mit der Kraft, die reine Menschenaugen haben, bis nach Karlsbad Ihnen
geradeaus ins Herz sehn, während sie jetzt nur mühsam in Ihrem
doch aufrichtigen und deshalb lieben Brief herumirren.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr Kafka
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at