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An M. E.
Liebe Minze, zunächst also bin ich glücklich mit Ihnen, dass
Sie in eine Schule kommen. Die Schwierigkeiten in einer Schule angenommen
zu werden haben Sie übertrieben, ich meine: sich selbst gegenüber
auch, aber nun nimmt es doch einen ganz besonders guten Ausgang, wenn Sie
in diese Schule kommen. Erstens kommt die Anregung von Ihrem Onkel, also
aus der Familie, das gibt doch gute Stimmung, dann ist die Empfehlung des
Dr. Ziegler in der Schule wahrscheinlich nicht ohne Bedeutung
und schließlich ist es doch - das nehme ich nämlich an - eine
jüdische Schule, also besonders wohltätig für das im Augenblick
ein wenig haltlose Kind (eine Benennung übrigens, die mehr Schmeichelei
als sonstiges ist).
Also so war es in Karlsbad? Nun freilich. Was aber das "ganz hübsche
Gesicht" betrifft, so habe ich es kaum gesehn. Jugend ist natürlich
immer schön, man träumt von der Zukunft und erregt in den andern
die Träume oder vielmehr man ist selbst ein Traum, wie sollte das
nicht schön sein. Aber das ist doch eine Schönheit, die aller
Jugend gemeinsam ist und die man sich persönlich anzueignen kein Recht
hat. Mit dem "ganz hübschen Gesicht" aber meinen Sie etwas
anderes und das habe ich nicht bemerkt. Die Frisur und die Schlangenarmbewegungen
sind mir zwar aufgefallen, aber das war doch nur halb putzig, halb komisch,
halb (Minze steht nämlich außerhalb der Naturgesetze und hat
3 Hälften) sogar unhübsch, in 2 Tagen wäre es vergessen
gewesen. Aber dieses von ihr so verächtlich behandelte "ansonsten"
stellte sich allmählich als etwas Wesentlicheres heraus.
Die mir drohenden Unterstreichungen des Sich-jung-fühlen-sollens treffen
mich, Minze, nicht. Ich klage ja nicht darüber, dass ich mich
alt fühle, eher über das Gegenteil oder besser überhaupt
nicht. Sie wissen doch: alte Augen werden fernsichtig und über Mangel
der Fernsicht sprach ich.
Nach Meran werde ich doch kaum fahren, es ist ein wenig zu teuer, vielleicht
fahre ich in die Bayerischen Alpen. Mein Kopf hat, glaube ich, den Norden
lieber, meine Lunge den Süden. Da aber gewöhnlich die Lunge sich
opfert, wenn es dem Kopf zu arg wird, so hat allmählich auch der Kopf
aus einer Art Erkenntlichkeit Verlangen nach Süden bekommen.
Was die Bilder betrifft, so lassen wir es bitte, Minze, dabei bleiben,
schon deshalb, weil man im Dunkel (ich meine: wenn man einander nicht sieht,)
einander besser hört. Und wir wollen einander gut hören. Deshalb
wird es auch viel besser sein, wenn wir einander jetzt in Prag nicht sehn,
weder absichtlich noch zufällig, das ist mein Ernst.
Aber von der Aufnahme in die Schule erfahre ich, nicht wahr, als einer
der ersten. Das wird eine große Ehrung für mich sein.
Mit herzlichen Grüßen Ihr
Kafka
Dr Ziegler : Rabbiner der Gemeinde Karlsbad, bekannter
Prediger und religiöser Schriftsteller.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at