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Zwei Postkarten an Felice Bauer
Liebste, wenn man solche unbestreitbare Dinge liest, wird einem noch wirrer
als wirr: Fontane hatte 1876 eine Beamtenstelle als Sekretär der Kgl.
Akademie der Künste angenommen und nach 3½ Monaten unter gräßlichem
Streit mit seiner Frau sie gekündigt. Er schreibt an eine Freundin:
"Alle Welt verurteilt mich, hält mich für kindisch, verdreht,
hochfahrend. Ich muß es mir gefallen lassen. Das Sprechen darüber
habe ich aufgegeben u.s.w.", dann: "ich bin jetzt 3½
Monate im Dienst. In dieser ganzen Zeit habe ich auch nicht eine
Freude erlebt, nicht einen angenehmen Eindruck empfangen. Die Stelle ist
mir, nach der persönlichen wie nach der sachlichen Seite, gleich zuwider.
Alles verdrießt mich; alles verdummt mich; alles ekelt mich an. Ich
fühle deutlich, dass ich immer unglücklich sein, dass
ich gemütskrank, schwermütig werden würde." "Ich
habe furchtbare Zeiten durchgemacht. Und was geschehen sollte, mußte
rasch geschehn. Noch hab' ich vielleicht die Kraft und Elastizität,
die Dinge wieder in so guten Gang zu bringen, wie sie bis zu dem Tage waren,
wo mir diese unglückselige Stelle angeboten wurde. Die Weisheit der
Menschen nutzt mir nichts. Was sie mir sagen können, hab' ich mir
in 100 schlaflosen Stunden selbst gesagt. Schließlich muß
ich doch dafür aufkommen und die bequemen Tage (bequem trotz ihres
innern Schreckensgehaltes) mit arbeitsvollen vertauschen." "Man
kann nicht gegen seine innerste Natur, und in jedes Menschen Herz gibt
es ein Etwas, das sich, wo es mal Abneigung empfindet, weder beschwichtigen
noch überwinden läßt. Ich hatte mich zu entscheiden, ob
ich, um der äußern Sicherheit willen, ein stumpfes, licht- und
freudeloses Leben führen oder u.s.w." So, heute hat Dir also
Fontane statt meiner geschrieben
Herzlichste Grüße Franz
Freundin: Fontanes Briefe an Mathilde v. Rohr vom 17. Juni
und 1. Juli 1876. Briefe Theodor Fontanes. Zweite Sammlung, hrsg. von Otto
Pniower und Paul Schlenther, Berlin 1910, Bd. I, S. 360 bzw. S. 363. Veränderungen
des Brieftextes durch Kafka sind nicht besonders gekennzeichnet.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at