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Es ist ein sonderbares Zusammentreffen, Fräulein Grete, dass
ich gerade heute Ihren Brief bekam. Das, womit er zusammengetroffen ist,
will ich nicht nennen, es betrifft nur mich und die Gedanken, die ich mir
heute nacht machte, als ich mich etwa um 3 Uhr ins Bett legte.
Ihr Brief überrascht mich sehr. Es überrascht mich nicht, dass
Sie mir schreiben. Warum sollten Sie mir nicht schreiben? Sie sagen zwar,
dass ich Sie hasse, es ist aber nicht wahr. Wenn Sie alle hassen sollten,
ich hasse Sie nicht und nicht nur deshalb, weil ich kein Recht dazu habe.
Sie saßen zwar im Askanischen Hof als Richterin über mir es
war abscheulich für Sie, für mich, für alle - aber es sah
nur so aus, in Wirklichkeit saß ich auf Ihrem Platz und habe ihn
bis heute nicht verlassen.
In F. täuschen Sie sich vollständig. Ich sage das nicht, um Einzelheiten
herauszulocken. Ich kann mir keine Einzelheit denken - meine Einbildungskraft
hat sich in diesen Kreisen so viel herumgejagt, dass ich ihr vertrauen
kann-ich sage, ich kann mir keine Einzelheit denken, die mich davon überzeugen
könnte, dass Sie sich nicht täuschen. Das, was Sie andeuten,
ist vollständig unmöglich, es macht mich unglücklich zu
denken, dass etwa F. aus irgendeinem unerfindlichen Grunde sich selbst
täuschen sollte. Aber auch das ist unmöglich.
Ihre Anteilnahme habe ich immer für wahr und gegen sich selbst rücksichtslos
gehalten. Auch den letzten Brief zu schreiben ist Ihnen nicht leicht geworden.
Ich danke Ihnen dafür herzlich.
Franz K.
An Grete Bloch: Vgl. Tagebücher (15.
Oktober 1914), S. 438f., wo der Brief aus dem Gedächtnis wiederholt
wird.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at