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An Grete Bloch
Liebes Fräulein Grete, es bedrückt mich, wenn ich sehe, wie Sie
unter der Unbegreiflichkeit meines Zustandes oder besser unter Ihrer eingeborenen
Güte leiden. Gewiß, ich hätte allen Grund, glücklich
zu sein, und F. ist gewiß der Hauptteil dieses Glücks. Eine
gewisse Art von Unbegreiflichkeit - und meine ist von dieser Art kann vor
lauter Unbegreiflichkeit zur Widerlichkeit werden; nur Ihnen gegenüber
soll sie dies nicht werden. Glauben Sie mir meine Gründe ungesagt,
was um so leichter sein sollte, als ich hinzufüge, dass es leicht
möglich ist, dass alles sich auf das Beste auflöst. Dieses
würde sogar zu dem Grundgesetz passen, das ich für mein Leben
nach der Erfahrung aufgefunden habe. Ich erreichte nämlich bisher
alles, was ich wollte, aber nicht gleich, niemals ohne Umwege, ja meistens
auf dem Rückweg, immer in der letzten Anstrengung und, soweit sich
das beurteilen ließ, fast im letzten Augenblick. Nicht zu spät,
aber fast zu spät, es war schon immer das letzte Hämmern des
Herzens. Und ich habe auch niemals das Ganze dessen erreicht, was ich wollte,
es war auch meistens nicht mehr alles vorhanden, ich hätte, selbst
wenn es da gewesen wäre, auch nicht alles bewältigen können,
aber immerhin bekam ich immer ein großes Stück und meistens
das Wichtigste. Solche Gesetze, die man selbst auffindet, sind natürlich
an sich ganz bedeutungslos, aber doch nicht ohne Bedeutung für die
Charakterisierung dessen, der sie findet, besonders da sie ihn, wenn sie
einmal gefunden sind, mit einer Art wirklicher Körperlichkeit beherrschen.
- Im übrigen werden Sie unser Glück oder Unglück sehn können,
denn wir haben beschlossen - und Sie dürfen sich ja nicht wehren -dass
Sie, bis wir einmal verheiratet sind, längere Zeit (und zwar gleich
am Anfang; da Sie jetzt keinen Urlaub haben, werden Sie ihn eben im Winter
bekommen) bei uns leben müssen. Nehme ich die im letzten Brief erwähnte
Wohnung, haben wir Platz genug. Und wir wollen ein schönes Leben
führen und Sie sollen allerdings, um mich zu prüfen, meine Hand
halten und ich soll, um zu danken, Ihre Hand halten dürfen.
Aber wie benimmt man sich denn im Bureau Ihnen gegenüber! Das ist
wahrhaftig schändlich. Heute hätten Sie einen Brief von mir bekommen
sollen. Nun, man macht Ihnen jedenfalls den Abschied nicht schwer. Aber
vielleicht tun das die Mädchen doch, Sie haben also Freundinnen.
Zu Hardt sage ich gleich 2 Wahrheiten. Erstens mißfällt
er mir. Früher, und diese Novelle, die ich nicht kenne, stammt aus
seiner Frühzeit, schrieb er gute Dinge, der hat auch die 3 Novellen
von Flaubert, wenigstens für meinen damaligen Geschmack, sehr gut
übersetzt. Aber später hat er schändliche Sachen gemacht
und macht sie noch weiterhin. An und für sich wollte ich nichts von
ihm lesen. Die zweite Wahrheit aber ist, dass alles, was Sie ergriffen
haben, für mich Wert besitzt, und dass alles, was von Ihnen ausgeht,
dadurch für mich wertvoll wird.
Ist Familienabend auch noch eine Einrichtung besonderer Art? Ich wußte
bisher nur vom Empfangstag, und der ist am Pfingstmontag.
Herzlichste Grüße Ihres Franz K.
Lesen Sie übrigens französisch? Und das Grillparzerzimmer? Und
die Thürheim?
[Am Rande] Mir aber lieber ins Bureau schreiben. In der Wohnung wartet
der Brief stundenlang nutzlos auf dem Tisch.
bis: Im Prager Sprachgebrauch für "Wenn" verwendet - " ... wenn wir einmal verheiratet sind, ..."
Hardt: Ernst Hardt 1876-1947), Erzähler, Lyriker,
Dramatiker und Übersetzer.
Letzte Änderung: 26.1.2016 werner.haas@univie.ac.at