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An Grete Bloch

8. V. 14
 


Liebes Fräulein Grete, es bedrückt mich, wenn ich sehe, wie Sie unter der Unbegreiflichkeit meines Zustandes oder besser unter Ihrer eingeborenen Güte leiden. Gewiß, ich hätte allen Grund, glücklich zu sein, und F. ist gewiß der Hauptteil dieses Glücks. Eine gewisse Art von Unbegreiflichkeit - und meine ist von dieser Art kann vor lauter Unbegreiflichkeit zur Widerlichkeit werden; nur Ihnen gegenüber soll sie dies nicht werden. Glauben Sie mir meine Gründe ungesagt, was um so leichter sein sollte, als ich hinzufüge, dass es leicht möglich ist, dass alles sich auf das Beste auflöst. Dieses würde sogar zu dem Grundgesetz passen, das ich für mein Leben nach der Erfahrung aufgefunden habe. Ich erreichte nämlich bisher alles, was ich wollte, aber nicht gleich, niemals ohne Umwege, ja meistens auf dem Rückweg, immer in der letzten Anstrengung und, soweit sich das beurteilen ließ, fast im letzten Augenblick. Nicht zu spät, aber fast zu spät, es war schon immer das letzte Hämmern des Herzens. Und ich habe auch niemals das Ganze dessen erreicht, was ich wollte, es war auch meistens nicht mehr alles vorhanden, ich hätte, selbst wenn es da gewesen wäre, auch nicht alles bewältigen können, aber immerhin bekam ich immer ein großes Stück und meistens das Wichtigste. Solche Gesetze, die man selbst auffindet, sind natürlich an sich ganz bedeutungslos, aber doch nicht ohne Bedeutung für die Charakterisierung dessen, der sie findet, besonders da sie ihn, wenn sie einmal gefunden sind, mit einer Art wirklicher Körperlichkeit beherrschen. - Im übrigen werden Sie unser Glück oder Unglück sehn können, denn wir haben beschlossen - und Sie dürfen sich ja nicht wehren -dass Sie, bis wir einmal verheiratet sind, längere Zeit (und zwar gleich am Anfang; da Sie jetzt keinen Urlaub haben, werden Sie ihn eben im Winter bekommen) bei uns leben müssen. Nehme ich die im letzten Brief erwähnte Wohnung, haben wir Platz genug. Und wir wollen ein schönes Leben führen und Sie sollen allerdings, um mich zu prüfen, meine Hand halten und ich soll, um zu danken, Ihre Hand halten dürfen.

Aber wie benimmt man sich denn im Bureau Ihnen gegenüber! Das ist wahrhaftig schändlich. Heute hätten Sie einen Brief von mir bekommen sollen. Nun, man macht Ihnen jedenfalls den Abschied nicht schwer. Aber vielleicht tun das die Mädchen doch, Sie haben also Freundinnen.

Zu Hardt sage ich gleich 2 Wahrheiten. Erstens mißfällt er mir. Früher, und diese Novelle, die ich nicht kenne, stammt aus seiner Frühzeit, schrieb er gute Dinge, der hat auch die 3 Novellen von Flaubert, wenigstens für meinen damaligen Geschmack, sehr gut übersetzt. Aber später hat er schändliche Sachen gemacht und macht sie noch weiterhin. An und für sich wollte ich nichts von ihm lesen. Die zweite Wahrheit aber ist, dass alles, was Sie ergriffen haben, für mich Wert besitzt, und dass alles, was von Ihnen ausgeht, dadurch für mich wertvoll wird.

Ist Familienabend auch noch eine Einrichtung besonderer Art? Ich wußte bisher nur vom Empfangstag, und der ist am Pfingstmontag.

Herzlichste Grüße Ihres Franz K.


Lesen Sie übrigens französisch? Und das Grillparzerzimmer? Und die Thürheim?


[Am Rande] Mir aber lieber ins Bureau schreiben. In der Wohnung wartet der Brief stundenlang nutzlos auf dem Tisch.




bis: Im Prager Sprachgebrauch für "Wenn" verwendet - " ... wenn wir einmal verheiratet sind, ..."
Hardt: Ernst Hardt 1876-1947), Erzähler, Lyriker, Dramatiker und Übersetzer.


Letzte Änderung: 26.1.2016werner.haas@univie.ac.at