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An Grete Bloch
Liebes Fräulein Grete, so müde? Und 3 Wochen wollen Sie in diesem
Provisorium noch leben, in dem Sie nicht schlafen können? Das ist
doch zu viel Rücksicht der Vermieterin, zu wenig Rücksicht Ihnen
gegenüber. Es tut mir leid und ärgert mich.
Es war sehr lieb von Ihnen, dass Sie in das Museum gegangen sind.
Ich dachte doch nicht daran, etwas Neues zu erfahren (trotzdem auch das
geschehen ist), aber ich hatte das Bedürfnis zu wissen, dass
Sie im Grillparzerzimmer gewesen sind, und dass dadurch auch zwischen
mir und dem Zimmer eine körperliche Beziehung entstanden ist. Mehr
ergibt sich ja auch nicht, wenn man selbst dort war, viel mehr wenigstens
nicht, gar im Anblick übersiedelter Schaustücke. Das Bild des
Zimmers, das Sie mir schickten, ist es das Bild des wirklichen Zimmers
oder des Rathauszimmers? Ein schönes Zimmer jedenfalls, in dem sich
gut leben, gut im Lehnstuhl bei Sonnenuntergang schlafen ließe. Übrigens
ein alter unerfüllbarer Wunsch: Vor dem Tisch bei einem großen
Fenster sitzen, eine weite Gegend vor dem Fenster haben und bei Sonnenuntergang
ruhig schlafen ohne die Last des Lichtes, des Ausblicks zu fühlen,
unbeirrt ruhig zu atmen. Was für Wünsche! Und wie dumm ausgedrückt!
So ist es nicht.
Hatten Sie übrigens nach dem "Armen Spielmann" auch den
selbständigen Wunsch, das Zimmer zu sehn? Er war doch ein fürchterlicher
Mensch; wenn sich unser Unglück von uns loslösen und frei umhergehen
würde, es müßte ihm ähnlich sehn, jedes Unglück
müßte ihm ähnlich sehn, er war lebendiges, abzutastendes
Unglück. Eine kleine Geschichte aus den Tagebüchern oder Briefen:
Die Verlobung war schon längst aufgelöst, nur die schwachsinnigsten
Verwandten dachten noch an irgendeine ferne Möglichkeit einer Heirat,
Katharina war schon längst über 30. Einmal abend ist G. bei den
Schwestern zu Besuch, wie die meisten Abende; K. ist besonders lieb zu
ihm, er nimmt sie halb aus Mitleid auf den Schoß - die zwei Schwestern
gehn wahrscheinlich im Zimmer herum - und stellt dabei fest und schreibt
es später auf, dass K. ihm damals vollständig gleichgültig
war, dass er sich damals antrieb, dass er sich im geringsten
Gefühl hätte untertauchen wollen, aber dass ihm nichts übrig
blieb, als sie auf dem Schoß zu halten und sich nach einem Weilchen
wieder von ihr zu befreien. Es war übrigens nicht nur
aus Mitleid, dass er sie auf den Schoß genommen hatte, es war
fast ein Versuch; noch ärger, er sah es voraus und tat es doch.
Sie haben doch meine letzten 2 Briefe bekommen? Ich will wissen, wo Sie
Pfingsten sein werden; Sie fragten, wann der Empfangstag sein wird, das
schien doch darauf hinzudeuten, dass Sie möglicherweise doch
kommen könnten. Wenn es wäre!
Denken Sie, ich habe noch keine Wohnung. Ich spiele schon mit dem Gedanken
(alle Wohnungen sind in der Stadt so teuer und F. soll doch anfangs in
der Stadt wohnen), nur eine 2 Zimmer Wohnung zu mieten. Was denken Sie
darüber?
Ich habe hier im Manuscript einen neuen Roman von Ernst Weiß,
heiß und schön wie die "Galeere", noch schöner
und ohne Mühe einheitlicher. Wollten Sie ihn lesen, und hätten
Sie überhaupt in der nächsten Zeit Gelegenheit dazu? Wohl kaum.
- Nochmals: Lesen Sie französisch?
Herzlichste Grüße Ihr FranzK.
Es war übrigens nicht ... und tat es doch:
Vgl. die im Nachlaß Grillparzers aufgefundene Notiz, die Heinrich
Laube in seiner Biographie Franz Grillparzers Lebensgeschichte,
Stuttgart 1884, S. 65, zitiert: "Mittags bei Fröhlich. Es erwachte,
wie jedesmal nach jeder Versöhnung, eine Art Verlangen in mir. Ich
nahm sie auf den Schoß und liebkoste ihr, das erste Mal nach langer
Zeit. Aber die Empfindung ist erloschen. Ich möchte sie gar zu gern
wieder anfachen, aber es geht nicht."
Roman von Ernst Weiß: Der Kampf, Berlin
1916.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at