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An Grete Bloch
Liebes Fräulein Grete, was ich auch immer sein mag, jedenfalls bin
ich zerstreut, treibe mich am liebsten in Parks und auf den Gassen herum,
drücke mit der einen Hand die andere, komme nachhause, esse von Ihrem
wunderbaren Obst, laufe wieder weg, suche Wohnung, miete eine schlechte,
fürchte nicht mehr loszukommen, immer gefallen mir nur die vorletzten;
ehe ich mich an die letzte gewöhne, liebe ich die vorletzte, so dass
man mich geradezu von der Schwelle wegreißen muß. Aus der ersten
und schönsten haben mich förmlich alle hinausgedrängt, ich
selbst habe zugestoßen.
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Wieder mißlungene Versuche, die letzte Wohnung loszuwerden. Abgesehen
von den verschiedensten guten und schlechten Launen beider Wohnungen, sind
sie im Wesen ganz entgegengesetzt. Die, welche ich genommen habe, dreht
sich um die Küche ein ¾ Kreis herum; die, welche ich nehmen
will und die ich schon längst kannte, streckt sich ganz ausgebreitet
gegen Osten. Wird es gelingen? Jetzt wird der letzte Versuch gemacht werden.
Sie werden es noch in diesem Brief erfahren. Spannend, nicht?
Liebes Fräulein Grete, was soll ich Ihnen nun erzählen? Im Grunde
hat sich gar nicht viel ereignet. Felice sieht gut aus, o ja, ist auch
lustig, scheint sich hier auch ziemlich wohlgefühlt zu haben. Meine
Verwandten haben sie fast lieber als mir lieb ist. In F.'s Verhältnis
zu Ihnen ist ganz gewiß seit dem Berliner Zusammenleben nicht die
geringste Änderung eingetreten. Sie sagen, Sie beobachten genau; in diesem
Falle haben Sie es nicht getan, sonst hätten Sie sich nicht über
F.'s Schweigen wundern können. F.'s Schweigen ist ja nicht als solches
zu beurteilen, sondern als Zeichen ihres Wesens. Lieben wir sie, so müssen
wir, ob wir wollen oder nicht, ihr ganzes Wesen lieben und wir tun es.
Ich will darüber nichts mehr sagen, es führt ins Weite. Nicht
Ihretwegen, das wissen Sie wohl, sondern meinetwegen tue ich es nicht.
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Die Wohnung, die sich um die Küche dreht, bin ich glücklich losgeworden,
aber die wahnsinnig hohe, schöne Wohnung habe ich auch noch nicht
genommen. Viele Hindernisse: schlechte Tapeten, hoher Zins, kein Dienstbotenzimmer,
nur ein Eingang in die Zimmer u.s.w., und wie ich alles dieses überlege,
fängt auf einem von irgendeinem Teufel aufgestellten Klavier in der
Nachbarwohnung irgendein Teufel mit Macht zu spielen an, dass es in
der leeren Wohnung widerhallt. Nichts fürchte ich mehr als Musik um
die Wohnung herum. So bin ich wieder langsam die 100 oder 200 Treppenstufen
hinuntergestiegen.
Was hat sich nun bei Ihnen ereignet? Oder habe ich Ihrem letzten Brief
nur mißverständlich entnommen, dass etwas Besonderes geschehen
ist? Vor allem das für mich Wichtigste: Werden Sie Pfingsten oder
vor Pfingsten in Berlin sein?Werden Sie vorher noch nach Teplitz fahren?
Es schlägt 9, schnell den Brief zur Bahn, trotzdem nichts im Briefe
steht. Seien Sie mir ja nicht böse, ich bin ein wenig im Wirbel, aber
ich will nicht heraus; besser man dreht sich und läßt nur den
Kopf ein wenig schwindlig hängen, als man liegt ganz und gar auf dem
Boden.
Ihr FranzK
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at