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An Grete Bloch

7. V. 14
 


Liebes Fräulein Grete, was ich auch immer sein mag, jedenfalls bin ich zerstreut, treibe mich am liebsten in Parks und auf den Gassen herum, drücke mit der einen Hand die andere, komme nachhause, esse von Ihrem wunderbaren Obst, laufe wieder weg, suche Wohnung, miete eine schlechte, fürchte nicht mehr loszukommen, immer gefallen mir nur die vorletzten; ehe ich mich an die letzte gewöhne, liebe ich die vorletzte, so dass man mich geradezu von der Schwelle wegreißen muß. Aus der ersten und schönsten haben mich förmlich alle hinausgedrängt, ich selbst habe zugestoßen.

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Wieder mißlungene Versuche, die letzte Wohnung loszuwerden. Abgesehen von den verschiedensten guten und schlechten Launen beider Wohnungen, sind sie im Wesen ganz entgegengesetzt. Die, welche ich genommen habe, dreht sich um die Küche ein ¾ Kreis herum; die, welche ich nehmen will und die ich schon längst kannte, streckt sich ganz ausgebreitet gegen Osten. Wird es gelingen? Jetzt wird der letzte Versuch gemacht werden. Sie werden es noch in diesem Brief erfahren. Spannend, nicht?

Liebes Fräulein Grete, was soll ich Ihnen nun erzählen? Im Grunde hat sich gar nicht viel ereignet. Felice sieht gut aus, o ja, ist auch lustig, scheint sich hier auch ziemlich wohlgefühlt zu haben. Meine Verwandten haben sie fast lieber als mir lieb ist. In F.'s Verhältnis zu Ihnen ist ganz gewiß seit dem Berliner Zusammenleben nicht die geringste Änderung eingetreten. Sie sagen, Sie beobachten genau; in diesem Falle haben Sie es nicht getan, sonst hätten Sie sich nicht über F.'s Schweigen wundern können. F.'s Schweigen ist ja nicht als solches zu beurteilen, sondern als Zeichen ihres Wesens. Lieben wir sie, so müssen wir, ob wir wollen oder nicht, ihr ganzes Wesen lieben und wir tun es. Ich will darüber nichts mehr sagen, es führt ins Weite. Nicht Ihretwegen, das wissen Sie wohl, sondern meinetwegen tue ich es nicht.

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Die Wohnung, die sich um die Küche dreht, bin ich glücklich losgeworden, aber die wahnsinnig hohe, schöne Wohnung habe ich auch noch nicht genommen. Viele Hindernisse: schlechte Tapeten, hoher Zins, kein Dienstbotenzimmer, nur ein Eingang in die Zimmer u.s.w., und wie ich alles dieses überlege, fängt auf einem von irgendeinem Teufel aufgestellten Klavier in der Nachbarwohnung irgendein Teufel mit Macht zu spielen an, dass es in der leeren Wohnung widerhallt. Nichts fürchte ich mehr als Musik um die Wohnung herum. So bin ich wieder langsam die 100 oder 200 Treppenstufen hinuntergestiegen.

Was hat sich nun bei Ihnen ereignet? Oder habe ich Ihrem letzten Brief nur mißverständlich entnommen, dass etwas Besonderes geschehen ist? Vor allem das für mich Wichtigste: Werden Sie Pfingsten oder vor Pfingsten in Berlin sein?Werden Sie vorher noch nach Teplitz fahren?

Es schlägt 9, schnell den Brief zur Bahn, trotzdem nichts im Briefe steht. Seien Sie mir ja nicht böse, ich bin ein wenig im Wirbel, aber ich will nicht heraus; besser man dreht sich und läßt nur den Kopf ein wenig schwindlig hängen, als man liegt ganz und gar auf dem Boden.

Ihr FranzK


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at