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An Felice Bauer
Meine Liebste, jetzt abend komme ich nachhause, habe mich nutzlos herumgetrieben,
auf Tennisplätzen, auf den Gassen, im Bureau (ob dort vielleicht eine
Nachricht von Dir wäre) und finde nun Deinen Brief. Ich werde unfähig,
etwas zu tun, wenn ich nicht Nachricht von Dir habe, ich war wirklich unfähig,
die kleine Anzeige in die Zeitung zu geben, trotzdem das schon möglich
ist, da ich es heute dem Direktor gesagt habe. Aber ich konnte nicht, übrigens
war es auch im Berliner Tageblatt nicht.
Ich weiß nicht einmal mehr, womit ich letzthin so beschäftigt
gewesen bin, es wird nichts sehr Wichtiges gewesen sein. Über Unwichtigem
ist es spät geworden, so wie heute auch. Was für ein provisorisches
Leben ohne Dich!
Mit Max komme ich natürlich zusammen, sogar jeden Tag. Nur sind wir,
wenn ich genau zusehe, einander nicht so nahe, wie wir es früher,
zeitweise allerdings nur, gewesen sind. (Niemals waren wir einander so
nahe wie auf Reisen, warte ich schicke Dir nächstens zwei gedruckte
Kleinigkeiten von unsern Reisen, eine erträgliche von mir und eine
ganz unerträgliche von uns beiden gemeinsam geschrieben.
Ich verspreche nicht so ins Blaue wie Du den Brief für meine Mutter,
die Reklammarken für den Chef, das Berliner Tageblatt und die Kündigung
bei der Ärztin für mich. Ich verspreche auch ins Blaue, aber
mein Blau ist nicht gar so grenzenlos.) Wir (der Sicherheit halber nochmals:
Max und ich) sind durch meine Schuld einander nicht mehr so nahe, er fühlt
es auch in seiner Schuldlosigkeit gar nicht so, hat mir auch z. B. seinen
neuen Roman "Tycho Brahes Weg zu Gott", eines
seiner persönlichsten Bücher, eine peinigend selbstquälerische
Geschichte geradezu, gewidmet.
Aber auch meine Schuld ist nicht eigentlich Schuld oder nur zum kleinen
Teil. Ich bin Max unklar und wo ich ihm klar bin, irrt er sich. Ich bin
in der letzten Zeit trotz aller äußerlichen mich betreffenden
Geschwätzigkeit (dieses Laster kennst Du noch nicht, Du hast es selbst
auch nicht, dafür liebe ich Dich ja auch) immer verschlossener, immer
menschenscheuer geworden, ich kann trotz dem innern Drängen der Geschwätzigkeit
und selbst einer berechtigteren Lust zur Mitteilung nicht aus mir hinaus,
es ist auch nicht eigentlich Scheu vor Menschen, sondern Unbehaglichkeit
in ihrer Nähe, Unfähigkeit zur Herstellung vollständiger,
lückenloser Beziehungen, ich verliere so selten den fremden Blick
für andere (verstehst Du das?), ich getraue mich zu behaupten, dass
selten jemand so fähig ist wie ich, schweigend in halber Nähe,
ohne unmittelbar dazu gezwun - endgültige Unterbrechung, 2
Onkel kommen, einer aus Triesch in Mähren, der andere ein Prager,
eine Merkwürdigkeit, ich muß aufhören, nur damit Du
nicht Angst bekommst wegen des angefangenen Satzes, unnötige Angst,
glaube mir, wir vertrauen einander doch, nicht?, also damit Du nicht Angst
bekommst, schließe ich noch den Satz - gen zu sein, Menschen vollständig
mit einer mich selbst erschreckenden Kraft zu fassen. Das kann ich, dieses
Können ist aber, wenn ich nicht schreibe, allerdings fast eine Gefahr
für mich. Nur gibt es, da ich Dich habe, keine Gefahr für mich,
und auch für Dich, Liebste, soll es keine geben.
Franz
Keine Kopfschmerzen, unbedingt keine!
von uns beiden gemeinsam geschrieben: "Die
Aeroplane in Brescia", veröffentlicht in der Bohemia
vom 28. September 1909 und die gemeinsam mit Max Brod verfaßte Reisegeschichte
"Richard und Samuel", erschienen in den Herder-Blättern,
1. Jg. Nr. 3 (Mai 1912), S. 15ff. Wiederabdruck in Franz Kafka, Erzählungen
und kleine Prosa, Berlin 1935. S. 264ff.
Tycho Brahes Weg zu Gott: Max Brods Roman Tycho
Brahes Weg zu Gott, zuerst in der Monatsschrift Die Weißen
Blätter (Januar bis Juni 1915) in Fortsetzungen veröffentlicht,
erschien 1916 im Verlag Kurt Wolff. Dem Roman ist die Widmung vorangestellt:
"Meinem Freunde Franz Kafka".
2 Onkel: Kafkas Onkel Siegfried Löwy, Landarzt
in Triesch (bei Iglau in Mähren) und Rudolf Löwy, Buchhalter
in Prag.
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Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at