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An Grete Bloch
Liebes Fräulein Grete, das war schon viel besser. Natürlich wußte
ich ganz genau, was Sie schreiben würden, Sie haben es oft genug schon
angedeutet, oft genug schon den Versuch gemacht, sich aus der Schlinge
zu ziehn, die aber gar keine Schlinge ist, sondern nur -nun, jedenfalls
werde ich diese Schlinge mit allen Zähnen festzuhalten versuchen,
falls Sie sie lösen wollten. Aber es ist ja gar nicht daran zu denken.
Und die Briefe? Natürlich können Sie über die vergangenen
verfügen (nicht über die künftigen!), aber warum wollten
Sie sie nicht in meinem Besitz lassen? Warum soll überhaupt die geringste
Änderung geschehn? Was helfen überhaupt Regeln Menschen und gegenüber
Menschen? Ich sage auch noch heute, dass ich keinen fremden Menschen
haben will und sage gleichzeitig, dass ich über jeden Augenblick
glücklich sein werde, den Sie bei uns (dieses "uns" ist
heute allerdings noch nicht viel mehr als eine Fabel) verbringen werden.
F. wird die Briefe nicht lesen, wenn Sie nicht wollen; es ist auch gar
nicht nötig, F. weiß schon oder könnte es auch ohne die
Briefe wissen, wer Sie sind. Und weiß sie es nicht, dann werden ihr
auch die Briefe nicht dazu verhelfen.
Macht es Sie nicht stolz, dass man in Berlin solchen Wert darauf legt,
Sie zu bekommen? Mir geht es eigentümlich mit der Vorstellung von
Ihrer jedenfalls ganz außergewöhnlichen Geschäftstüchtigkeit.
Ich habe diese Tugend so wenig, dass ich mir deren Detail gar nicht
vorstellen kann. Ich höre aber davon, auch jetzt in Berlin, glaube
es auch natürlich, kann es aber mit aller Anstrengung nicht vollständig
mit dem Fräulein Grete, an das ich schreibe, zusammenbringen, nur
annähern kann ich es gerade noch.
Warum sollen Sie erst vom 1.VIII nach Berlin kommen? Warum Henkersfristen?
Wer hat denn um Himmels willen in Berlin andere Gelüste auf Ihren
Kopf, als ihm zu streicheln? Kommen Sie doch früher! z.B. zu dem leider
großen Tag, den man bei Ihnen Empfangstag nennt
und der zu Pfingsten sein dürfte[1].
Frau B.[auer]? Nun, sie ist mir ein wenig unheimlich und ich ihr sehr.
Ihr leuchte ich wohl am wenigsten ein, den andern, sei es auch mit Hilfe
von Mißverständnissen, mehr oder weniger. Toni gefällt
mir sehr, auch Erna, die ich allerdings nur paar Minuten Samstag abend
gesehen habe, Sonntag und Montag war sie in Hannover. Den irgendwie verdächtigen
Blick der Frau hatte ich immerfort auf mir, wäre ich an ihrer Stelle
gewesen, hätte ich allerdings noch viel verdächtigendere Blicke
gemacht, ich mache sie sogar an meiner Stelle. Nun, manchmal kam ich ihr
krank vor, manchmal sinnlos, meistens dumm und selten auch überschlau;
aus solcher Urteilsmischung ergibt sich kein sehr gutes Verhältnis,
und sei es selbst gegenüber dem künftigen Schwiegersohn. Überhaupt
wird man nicht viel Liebes an mir haben beobachten können, ich war
übermüdet, zerfahren, unaufmerksam, dann wieder gleichzeitig
zerstreut und überwach (einer meiner häßlichsten und häufigsten
Zustände), trumpfte ganz unnötiger Weise mit meinem Vegetarianismus
auf, aß nur Gemüse, war möglichst langweilig und es hätte
schon eines göttermäßigen Blickes bedurft, um in mir die
Ruhe und Notwendigkeit meines Handelns und Daseins zu erkennen.
Herzlichste Grüße Ihres Franz K.
großen Tag: Die offizielle Verlobungsfeier
mit Verwandten und Freunden.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at