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An Grete Bloch

15.IV.14
 


Liebes Fräulein Grete, ich habe eine ganz offenbare und wirkliche Sehnsucht nach Ihnen. Als ich heute die Plakate der Bureauausstellung (20. - 29.Juni) zum erstenmal auf dem Weg ins Bureau im Vorüberlaufen sah, wurde ich ganz froh. Kommen Sie dann? Für eine Woche? Schön, schön, schön! Und vorher am 2., 3. Mai wollen Sie kommen, wollen die große Fahrt machen? Natürlich wird es F. so einrichten, dass sie auch hier ist; ich schreibe es ihr morgen, Sie haben ihr wohl auch geschrieben. Aber vielleicht geht es doch in Ihrem wie auch in meinem Sinn, dass wir alle 3 in Gmünd zusammenkommen. Ich weiß nur nicht, ob das Verlobte dürfen; Nichtverlobte haben es viel besser, die dürfen alles und müssen nichts.

Was für eine Neuigkeit in Ihren Briefen? Sie streichen einen Satz bis zur Unleserlichkeit durch und brechen einen Absatz ab, weil er von Ihnen handelt? Sehn Sie doch, wie notwendig mein gestriger Brief war. Sie dürfen mich nicht aufgeben, das geht ganz und gar nicht, und ich werde es mir nicht gefallen lassen. Es besteht auch gar kein Grund dafür. Und ich will wissen, wie es Ihnen geht, und zu was für einem Zug Sie müssen und was für Sätze Sie durchstreichen.

Nach Ihrer letzten Karte scheint es ja wieder, als ob Sie von Berlin abrücken wollten. Man muß nicht vor Ruinen sitzen, um die Welt zu genießen, das kann man am Hundekehlensee auch und um so besser, je weiter er von Wien ist. Sie wollen es nicht glauben? Ich weiß nicht, was das "bedingungslose Ausliefern" bedeutet, ich habe absichtlich mit F. darüber nicht gesprochen; sie sagte nur immer wieder, wie Ihre Mutter Sie herbeiwünscht. Und F. bleibt ja noch so lange in Berlin. Bis September, sie will nicht früher heiraten. Das ist ja noch fast ein halbes Jahr.

Jetzt fällt mir ein, dass ich immerfort früher von irgendeinem Entschluß geredet habe, der mir Widerstandskraft gibt, ohne ihn verraten zu haben. Dieser Entschluß bestand darin, dass ich für den Fall, als ich F. nicht geheiratet hätte, meinen Posten hier aufgegeben oder, wenn es möglich gewesen wäre, einen längern Urlaub ohne Gehalt genommen hätte und nach Berlin gegangen (nicht wegen F. sondern wegen Berlin und seiner vielen Möglichkeiten) und Journalist oder sonst etwas ähnliches geworden wäre. Was meinen Sie nun nachträglich dazu, Fräulein Grete?

Der "arme Spielmann" ist schön, nicht wahr? Ich erinnere mich, ihn einmal meiner jüngsten Schwester vorgelesen zu haben; wie ich niemals etwas vorgelesen habe. Ich war so davon ausgefüllt, dass für keinen Irrtum der Betonung, des Atems, des Klangs, des Mitgefühls, des Verständnisses Platz in mir gewesen wäre, es brach wirklich mit einer unmenschlichen Selbstverständlichkeit aus mir hervor, ich war über jedes Wort glücklich, das ich aussprach. Das wird sich nicht mehr wiederholen, ich würde niemals mehr wagen, es vorzulesen.

Sie waren traurig oben bei der Ruine im Gras? Nichts scheint mir natürlicher. Ich war immer auf dem Land traurig. Was für eine Kraft gehört dazu, ein solches weites Land im Umblick sich anzupassen. Vor einer Berliner Straße gelingt mir das im Handumdrehn. Und doch waren Sie auch ruhig und innerlich friedlich draußen.


Herzlichste, herzlichste Grüße Ihres Franz K


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at