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An Grete Bloch
Liebes Fräulein Grete, ich habe eine ganz offenbare und wirkliche
Sehnsucht nach Ihnen. Als ich heute die Plakate der Bureauausstellung (20. -
29.Juni) zum erstenmal auf dem Weg ins Bureau im Vorüberlaufen sah,
wurde ich ganz froh. Kommen Sie dann? Für eine Woche? Schön,
schön, schön! Und vorher am 2., 3. Mai wollen Sie kommen, wollen
die große Fahrt machen? Natürlich wird es F. so einrichten,
dass sie auch hier ist; ich schreibe es ihr morgen, Sie haben ihr
wohl auch geschrieben. Aber vielleicht geht es doch in Ihrem wie auch in
meinem Sinn, dass wir alle 3 in Gmünd zusammenkommen. Ich weiß
nur nicht, ob das Verlobte dürfen; Nichtverlobte haben es viel besser,
die dürfen alles und müssen nichts.
Was für eine Neuigkeit in Ihren Briefen? Sie streichen einen Satz
bis zur Unleserlichkeit durch und brechen einen Absatz ab, weil er von
Ihnen handelt? Sehn Sie doch, wie notwendig mein gestriger Brief war. Sie
dürfen mich nicht aufgeben, das geht ganz und gar nicht, und ich werde
es mir nicht gefallen lassen. Es besteht auch gar kein Grund dafür.
Und ich will wissen, wie es Ihnen geht, und zu was für einem Zug Sie
müssen und was für Sätze Sie durchstreichen.
Nach Ihrer letzten Karte scheint es ja wieder, als ob Sie von Berlin abrücken
wollten. Man muß nicht vor Ruinen sitzen, um die Welt zu genießen,
das kann man am Hundekehlensee auch und um so besser, je weiter er von
Wien ist. Sie wollen es nicht glauben? Ich weiß nicht, was das "bedingungslose
Ausliefern" bedeutet, ich habe absichtlich mit F. darüber nicht
gesprochen; sie sagte nur immer wieder, wie Ihre Mutter Sie herbeiwünscht.
Und F. bleibt ja noch so lange in Berlin. Bis September, sie will nicht
früher heiraten. Das ist ja noch fast ein halbes Jahr.
Jetzt fällt mir ein, dass ich immerfort früher von irgendeinem
Entschluß geredet habe, der mir Widerstandskraft gibt, ohne ihn verraten
zu haben. Dieser Entschluß bestand darin, dass ich für
den Fall, als ich F. nicht geheiratet hätte, meinen Posten hier aufgegeben
oder, wenn es möglich gewesen wäre, einen längern Urlaub
ohne Gehalt genommen hätte und nach Berlin gegangen (nicht wegen F.
sondern wegen Berlin und seiner vielen Möglichkeiten) und Journalist
oder sonst etwas ähnliches geworden wäre. Was meinen Sie nun
nachträglich dazu, Fräulein Grete?
Der "arme Spielmann" ist schön, nicht wahr? Ich erinnere
mich, ihn einmal meiner jüngsten Schwester vorgelesen zu haben; wie
ich niemals etwas vorgelesen habe. Ich war so davon ausgefüllt, dass
für keinen Irrtum der Betonung, des Atems, des Klangs, des Mitgefühls,
des Verständnisses Platz in mir gewesen wäre, es brach wirklich
mit einer unmenschlichen Selbstverständlichkeit aus mir hervor, ich
war über jedes Wort glücklich, das ich aussprach. Das wird sich
nicht mehr wiederholen, ich würde niemals mehr wagen, es vorzulesen.
Sie waren traurig oben bei der Ruine im Gras? Nichts scheint mir natürlicher.
Ich war immer auf dem Land traurig. Was für eine Kraft gehört
dazu, ein solches weites Land im Umblick sich anzupassen. Vor einer Berliner
Straße gelingt mir das im Handumdrehn. Und doch waren Sie auch ruhig
und innerlich friedlich draußen.
Herzlichste, herzlichste Grüße Ihres Franz K
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at