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An Felice Bauer
Um die Wahrheit zu sagen, F.: in dem gestrigen nutzlosen und aufgeregten
Warten auf Deinen Brief (das wievielte Mal wartete ich nutzlos, F. ?) war
ich entschlossen, den Brief, wenn er heute kommen sollte, nicht zu öffnen.
Der Brief hätte ja schon Sonntag kommen können, die Antwort auf
meinen letzten Brief war mir natürlich dringend, ich hatte also auch
schon den ganzen Sonntag gewartet. Außerdem war es unwahrscheinlich,
dass der Brief heute kommen würde. Warum gerade heute? Dieser
Brief, den ich heute bekommen habe, den ich kaum paar Augenblicke ungeöffnet
in der Tasche hatte und der mich (ich verstehe es nicht, aus dem Inhalt
ist es auch gar nicht zu verstehen) trotzdem glücklich macht - dieser
Brief hätte, soweit es auf Dich ankam, auch morgen oder übermorgen
oder gar nicht kommen müssen. Aus sich heraus drängt er nicht.
Mein Telegramm, F., war nicht böse, möglich, dass es auf
dem Formular so erschien. Merkwürdig ist das: Mein letzter Brief schien
mir böse; das hast Du nicht gefühlt, also war er es vielleicht
auch nicht und schien nur mir so. Im Telegramm sagte ich nur, dass
es mir nicht möglich gewesen war zu antworten, im Brief aber sagte
ich den Grund, wurde mir in der Zusammenfassung der Menge des ganz und
gar Unklaren bewußt, das noch zwischen uns ist. Es ist eine Menge
allerdings, aber vielleicht müßtest Du mir ein Wort sagen und
es wäre keine Menge und vielleicht gar nichts mehr.
Täusche Dich nicht, F., täusche Dich nicht! Die Rolle, welche
Deine Familie in Deinem letzten Briefe spielt, deutet auf eine Art Täuschung
hin. Täusche Dich nicht! Du müßtest, F., nicht davon reden,
dass Du meine Demütigung gewollt oder nicht gewollt hast, Du
müßtest bloß alles, was ich im letzten Brief angeführt
habe, erklären; das übrige würde von selbst klar. Du tust
aber dieses Einfache nicht (das Verschieben der Erklärung bis zur
Aussprache hilft nichts, Du weißt gut, dass ich in Deiner Nähe
mit allem zufrieden bin und zufrieden sein muß), also kannst Du es
wahrscheinlich nicht. Dann aber mußt Du mir die Deutung überlassen.
Hättest Du mich doch demütigen wollen, es wäre nicht das
Schlimmste. Ich habe es ja nur deshalb (aber im Ernst, doch im Ernst) angenommen,
weil es der für mich günstigste Fall war. Was dann übrigbleibt,
wenn diese Annahme falsch ist, wenn Du mich also nicht demütigen wolltest
- davon rede ich lieber nicht.
Ich komme also Ostern, aber nicht Samstag mittag, sondern Samstag abend
um, wenn ich nicht irre, 6h51.. Mir wäre es natürlich am liebsten,
wenn Du jedenfalls zur Bahn kämest. Nun ist es aber, wie ich gestern
erfahren habe, nicht ausgeschlossen, dass auch Max und seine Frau
mit mir fahren, wahrscheinlich auch Otto Pick (alle in literarischen Angelegenheiten),
es wäre Dir vielleicht unangenehm, im Bahnhof mit ihnen allen zusammenzukommen.
Wir müßten uns dann eben (möglichst bald, also vielleicht
um ½8, ich werde wieder im Askanischen Hof wohnen) an einem von
Dir zu bestimmenden Orte treffen.
Du willst täglich einen Brief haben, F.? An und für sich müßtest
Du das nicht sagen und hättest ihn. Aber wie paßt Deine Bitte
zu der Vorstellung, die ich in der letzten Zeit öfters im Halbschlaf
habe: Du legst meine Briefe, ungelesen und jedenfalls unbeantwortet, einen
auf den andern oder wirfst einen dem andern nach. Nicht einmal in meinem
Halbschlaf solltest Du das tun.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at