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An Grete Bloch
Liebes Fräulein Grete - in Eile und Halbdunkel - F. und ich haben
uns gestern telephonisch geeinigt, dass ich (da ich heute schon um
½5 aus Berlin hätte wegfahren müssen und viel und Widerliches,
wenigstens für meine vollständig geschwundene Bureaukraft, viel
im Bureau zu tun habe) erst Ostern nach Berlin komme. Das telephonische
Einvernehmen war recht gut, soweit mir schien und soweit ich über
diese für mich neue Erfindung urteilen kann, mit der ich fast nichts
anzufangen weiß. F. hat mich diese Woche schon 3 oder 4 mal angerufen,
das Telephon ist im 2ten Stock, ich im 4ten, ich werde nun telephonisch
hinuntergerufen, werde, da ich nicht bei meinem Tisch bin, sondern aus
Notwendigkeit oder, bloß um mich vor der Arbeit zu verstecken, bei
einem meiner 30 Referenten stehe oder bei einer meiner zwei Schreibmaschinen
sitze, erst ein Weilchen gesucht, laufe dann ins 2te Stockwerk hinunter,
setze mich außer Atem zum Apparat, der ohne Zelle offen im Präsidialzimmer
ist, wo es immer herumlungernde, aufpassende, viel zu gut gelaunte oder
viel zu gesprächige Menschen gibt, die man, wenn sie hinter einem
stehn, zwar durch einen Fußtritt zur Ruhe bringen kann, gegen die
man aber auf einige Entfernung hin machtlos ist, gebunden an den Apparat;
und wie ich schon beim gewöhnlichen Telephonieren mangels jeglicher
Schlagfertigkeit nichts sagen und vor lauter Nachdenken über diese
Unfähigkeit auch kaum etwas verstehen kann, (es ist bei mündlicher
Unterhaltung nicht viel anders), so verstehe ich beim interurbanen Gespräch
fast nichts und habe jedenfalls gar nichts zu sagen, kann also auch darüber
gar nicht ur teilen. Vor einer Woche etwa wurde ich einmal auch von F.
angerufen, redete, wie mir schien, mit der ängstlichsten Stimme, deren
ich mich vor dem ganzen Präsidialzimmer schämte, aber F. schrieb
mir, meine Stimme hätte sich "furchtbar böse" angehört,
vielleicht deshalb, weil ein in dem Augenblick übersprühend lustiger
Direktor hinter mir stand und mich schonend darauf aufmerksam machte, ich
solle statt der Augen lieber den Mund ans Telephon legen (womit er ja zweifellos
recht hatte).
Gott weiß, warum mir die Klage über dieses kleine Leid so angewachsen
ist. Liebes Fräulein Grete, ich fahre also nach Berlin und Sie nicht
und so werden wir uns wieder nicht sehn, das ist viel schlimmer. Ich dachte
noch gestern bestimmt daran (sogar im Augenblick des Telephonierens dachte
ich statt zu telephonieren daran), dass Sie nach Berlin fahren würden,
da Sie nun so lange nicht zuhause waren. Ergibt sich keine geschäftliche
Notwendigkeit dazu? Übrigens zerbreche ich mir den Kopf, was die von
Ihnen schon öfters erwähnten "privatgeschäftlichen
Angelegenheiten" sein können. Und auch drei wichtige Briefe
an einem Tag sind wirklich zu viel (ist darunter einer von dem versäumten
Besuch?), Sie hätten es nötig, sich loszureißen. Genügt
dafür eine Fahrt in den Wiener Wald?
Vollständig recht haben Sie darin, was Sie über mich und F. sagen.
Ich verstehe gar nicht, wie ich mich in letzter Zeit auf der Gemeinheit
versteifen konnte, von Ihnen, die mit F. nicht in Verbindung ist, eine
Art Urteil zu verlangen, da ich, abgesehen von der äußerlichen
Unmöglichkeit alles zu erzählen, ob ich will oder nicht, auch
fälsche und verschweige. Natürlich erfährt F., da Sie es
nicht wollen, kein Wort über Sie, von der ich übrigens, soweit
es einzelne Vorkommnisse betrifft, nur ganz Allgemeines weiß.
Herzlichste Grüße Ihres Franz K.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at