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An Grete Bloch
Liebes Fräulein Grete und Frühjahrskind, draußen auf dem
Ring ist ein großes nicht endenwollendes Begräbnis, ein Fenster
meines Zimmers ist offen, meine Schwester und eine Cousine liegen drin,
ich habe sie schon beide an den Röcken hereinziehe wollen, aber es
geht nicht, so sitze ich hier und friere. (Jetzt sagt die Cousine auch
noch: "Singen wir doch mal was!" Schon singen sie.) Nein, ich kann
jetzt nicht weiter schreiben.
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In Wien haben Sie einen Brief, keinen Glückwunschbrief allerdings,
denn wie sollte ich wissen, dass Sie ein Frühjahrskind sind,
wenn Sie so oft Gedanken auch aus andern traurigen Jahreszeiten haben.
Aber im ganzen paßt es doch irgendwie gut zu Ihnen.
Wie man Sie hin und her reißt! Jetzt in Troppau, jetzt in Budapest,
nur in Prag niemals. Werden Sie übrigens zu F.'s Schwester gehn?
In dem Brief, den ich Ihnen nach Wien geschrieben habe, steht, dass
ich gestern auf einen Expressbrief F.'s mit einem langen und wahrscheinlich
letzten Brief geantwortet habe. Ich füge hinzu, dass die letzte
aber scheinbar ganz sinnlose Frist morgen, Montag ist. Kommt morgen, Montag,
nicht irgendein (nach dem letzten Brief und Telephongespräch, auch
das war Samstag, ein Anruf F.'s) ganz unvorstellbarer Brief von F., dann
sind wir beide, F. und ich, frei. Allerdings wird nur F. ihre Freiheit
gleich und ganz genießen können, ich aber später einmal
und teilweise vielleicht auch. Wenn ich es nicht können werde, desto
schlimmer für mich.
So viele Briefe und Telegramme sind gekommen? Haben Sie also
Nun aber reisen Sie doch genug, mehr vielleicht, als Ihnen lieb ist und
gewiß mehr, als Ihnen gut ist. Ich werde Sie nicht noch nach Gmünd
fahren lassen. Aber Ostern, wenn Sie in Wien sind und sonst keinen Besuch
haben, komme ich wahrscheinlich hin.
Herzlichste Grüße Ihres Franz K.
Die unterschiedliche Textfarbe wurde auf Grund der Ausgabe "Geteilte Post: 28 Briefe an Grete Bloch. Marbach am Neckar, 2011" gewählt. Laut dem Herausgeber Hans-Gerd Koch: "Aus zwölf dieser Briefe trennt sie jene Teile heraus, die persönliche Dinge betreffen oder falsche Rückschlüsse auf ihre Beziehung zu Kafka zulassen, und behält sie zurück. (Beim Abdruck im vorliegenden Band wurden diese fehlenden Teile in grauer Schrift ergänzt.)" Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wurde für diese Webseite anstelle von grau eine blaue Schriftfarbe verwendet.
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |