Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

 

An Grete Bloch

22.III.14
 


Liebes Fräulein Grete und Frühjahrskind, draußen auf dem Ring ist ein großes nicht endenwollendes Begräbnis, ein Fenster meines Zimmers ist offen, meine Schwester und eine Cousine liegen drin, ich habe sie schon beide an den Röcken hereinziehe wollen, aber es geht nicht, so sitze ich hier und friere. (Jetzt sagt die Cousine auch noch: "Singen wir doch mal was!" Schon singen sie.) Nein, ich kann jetzt nicht weiter schreiben.

__________


In Wien haben Sie einen Brief, keinen Glückwunschbrief allerdings, denn wie sollte ich wissen, dass Sie ein Frühjahrskind sind, wenn Sie so oft Gedanken auch aus andern traurigen Jahreszeiten haben. Aber im ganzen paßt es doch irgendwie gut zu Ihnen.

Wie man Sie hin und her reißt! Jetzt in Troppau, jetzt in Budapest, nur in Prag niemals. Werden Sie übrigens zu F.'s Schwester gehn?

In dem Brief, den ich Ihnen nach Wien geschrieben habe, steht, dass ich gestern auf einen Expressbrief F.'s mit einem langen und wahrscheinlich letzten Brief geantwortet habe. Ich füge hinzu, dass die letzte aber scheinbar ganz sinnlose Frist morgen, Montag ist. Kommt morgen, Montag, nicht irgendein (nach dem letzten Brief und Telephongespräch, auch das war Samstag, ein Anruf F.'s) ganz unvorstellbarer Brief von F., dann sind wir beide, F. und ich, frei. Allerdings wird nur F. ihre Freiheit gleich und ganz genießen können, ich aber später einmal und teilweise vielleicht auch. Wenn ich es nicht können werde, desto schlimmer für mich.

So viele Briefe und Telegramme sind gekommen? Haben Sie also doch so viele Freunde und Bekannte? Und die "erwünschten Seiten"? Laufen nicht zwischen diesen und Ihnen irgendwelche Mißverständnisse hin und her, deren Aufklärung dem ganz in ihnen Befangenen nicht möglich ist, die aber entweder die Wünsche bringen oder das "Erwünschte" auflösen könnte? Und würden Sie mir vielleicht einmal sagen, was Ihnen z. B. Ihre Mutter zum Geburtstag geschrieben hat? Alles war "lieb und gut", wie Sie schreiben. Daß F. nicht Ihnen geschrieben hat, daran mag ich vielleicht unschuldiger Weise schuld sein, gerade Freitag bekam sie ein an mich geschicktes aber falsch adressiertes Telegramm als unbestellbar zurück, telegraphierte dann wieder, schrieb dann einen Brief, hat auch sonst viel zu tun, Sorgen wegen des Bruders, von dem noch keine Nachricht gekommen ist, "wie nervös und wie kaputt ich bin", beginnt dieser Brief und ähnlich auch der frühere; es ist schon Zeit, dass die Peitsche, die ich zum Überfluß noch für sie bedeute, endlich von ihr weggezogen wird.

Nun aber reisen Sie doch genug, mehr vielleicht, als Ihnen lieb ist und gewiß mehr, als Ihnen gut ist. Ich werde Sie nicht noch nach Gmünd fahren lassen. Aber Ostern, wenn Sie in Wien sind und sonst keinen Besuch haben, komme ich wahrscheinlich hin.


Herzlichste Grüße Ihres Franz K.


Die unterschiedliche Textfarbe wurde auf Grund der Ausgabe "Geteilte Post: 28 Briefe an Grete Bloch. Marbach am Neckar, 2011" gewählt. Laut dem Herausgeber Hans-Gerd Koch: "Aus zwölf dieser Briefe trennt sie jene Teile heraus, die persönliche Dinge betreffen oder falsche Rückschlüsse auf ihre Beziehung zu Kafka zulassen, und behält sie zurück. (Beim Abdruck im vorliegenden Band wurden diese fehlenden Teile in grauer Schrift ergänzt.)" Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wurde für diese Webseite anstelle von grau eine blaue Schriftfarbe verwendet.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at