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An Felice Bauer

25.III.14
 


Liebste F., in Deinem letzten Brief (wie lange bin ich jetzt bei diesem Worte stillgesessen und habe Dich hergewünscht!) kommt ein Satz vor, der mir von allen Seiten ziemlich klar ist; das gab es schon seit langem nicht. Er handelt von den Befürchtungen, die Du wegen eines Zusammenlebens mit mir hast. Du glaubst nicht oder Du zweifelst vielleicht nur oder willst vielleicht nur meine Meinung darüber hören, dass Du an mir die Stütze haben wirst, die Du unbedingt brauchst. Geradezu kann ich darauf nichts antworten. Vielleicht bin ich auch augenblicklich zu müde (ich habe auf Dein Telegramm bis 5 Uhr nachmittag warten müssen. Warum? Und auf den Brief habe ich sogar 24 Stunden warten müssen entgegen Deinem Versprechen. Warum?) und tief unter der Müdigkeit zu glücklich über Deinen Brief.

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Es ist spät abend. Ich werde heute auch das Wichtigste nicht mehr schreiben können. Die genaue Nachricht über mich, liebste F., die Du willst, kann ich Dir nicht geben; die kann ich Dir höchstens geben, wenn ich im Tiergarten hinter Dir her laufe, Du immer auf dem Sprung, ganz und gar wegzugehn, ich auf dem Sprung, mich hinzuwerfen; nur in dieser Demütigung, wie sie tiefer kein Hund erleidet, kann ich das. Jetzt kann ich nur sagen, wenn Du mir die Frage stellst: Ich liebe Dich, F., bis an die Grenze meiner Kraft, darin kannst Du mir vollständig vertrauen. Im übrigen aber, F., kenne ich mich nicht ganz. Es gibt Überraschungen und Enttäuschungen mit mir in unaufhörlicher Folge. Ich meine, diese Überraschungen und Enttäuschungen wird es nur für mich geben, ich werde alle Kraft aufwenden, nichts als die guten, die besten Überraschungen meiner Natur zu Dir zu lassen, dafür kann ich bürgen, nicht bürgen kann ich aber dafür, dass es mir immer gelingt. Wie könnte ich dafür bürgen angesichts des Durcheinanders meiner Briefe, das Du in der langen Zeit von mir bekommen hast? Wir waren wenig beisammen, das ist wahr, aber selbst wenn wir viel beisammen gewesen wären, hätte ich Dich (um das dann allerdings Unausführbare) gebeten, mich nach den Briefen zu beurteilen, nicht nach der unmittelbaren Erfahrung. Die Möglichkeiten, die in den Briefen stecken, die stecken auch in mir, die schlechten wie die guten; unmittelbare Erfahrung nimmt die Übersicht, und zwar, soweit es mich betrifft, im ungünstigen Sinn. Daß ich Dich dadurch, wenigstens dadurch nicht verlocken will, wirst Du gewiß zugeben, wenn Du Dich an manche Briefe erinnerst.

Im übrigen aber glaube ich, dass dieses Unfertige, dieses möglicherweise in glücklicher, möglicherweise in unglücklicher Bewegung-Sein meines Wesens für das Glück Deiner Zukunft mit mir gar nicht entscheidend sein muß, Du mußt den Wirkungen dessen gar nicht geradezu ausgesetzt sein, Du bist nicht unselbständig, F., Du hast vielleicht oder besser ganz bestimmt Lust, unselbständig zu werden, aber das ist eine Lust, der Du kaum auf die Dauer nachgeben würdest. Du könntest es nicht.

Zu Deiner Schlußfrage aber, ob es mir möglich ist, Dich so zu nehmen, als wäre nichts gewesen, kann ich nur sagen, das ist mir nicht möglich. Wohl aber ist es mir möglich und weit darüber hinaus notwendig, Dich mit allem, was gewesen ist, zu nehmen und bis zum Sinnloswerden zu halten.


[Beigelegt]


Darauf nämlich mußt Du doch achten, F., ich bin in einer ganz andern Lage als Du. Du könntest, müßtest oder würdest jedenfalls, wenn wir auseinandergingen, oder vielleicht darf ich jetzt "auseinandergegangen wären" sagen, Dein gegenwärtiges Leben vorläufig fortsetzen. Ich könnte das mit meiner Lebensweise nicht, ich bin ganz zweifellos an einem toten Punkt. dass ich das durch Dich erkannt habe, dürfte ich niemals vergessen. So zweifellose Zeichen für die Notwendigkeit einer Entscheidung habe ich in meinem Leben noch nicht bekommen. Ich muß mich aus meinem gegenwärtigen Leben herausreißen, entweder durch die Heirat mit Dir oder durch Kündigung und Abreise. Hätte ich Montag Dein Telegramm nicht bekommen, hätte ich vielleicht Dienstag aber jedenfalls Mittwoch einen schon fertigen Brief weggeschickt, der mir, wie ich hoffen konnte, eine kleine Stellung, einen kleinen finanziellen Rückhalt in Berlin verschafft hätte, im übrigen hätte ich versucht, ohne Ehrgeiz in dieser Hinsicht, mich im untersten Journalismus irgendwo festzuhalten. Es wäre mir gelungen, daran ist kein Zweifel. dass es mir aber gelungen wäre, Dich und die verlorene Möglichkeit (sie wäre der Voraussicht nach wenigstens für Jahre verloren gewesen), Dich zu heiraten, zu vergessen, das glaube ich nicht.

Ich muß schließen, sonst geht der Brief nicht weg, ich kann Dich aber nicht auf Briefe warten lassen, denn ich stelle mir immer vor, dass ich an Deinem Tische sitze und warte (was allerdings ganz falsch ist). Ich werde aber noch auf Deinen letzten Brief antworten. Nur schreib mir bitte gleich, und seien es nur paar Zeilen. Nicht warten lassen! Sieh, F., wenn Du mich heiraten willst, dulde es nicht, dass um die Poststunde und lange nachher das Herz Deines künftigen Mannes sich krampft.

Du sagst, ich soll nach Berlin kommen, aber das siehst Du doch ein, dass wir, ehe ich mit Deinen Eltern zusammenkomme, mit Dir und Du mit mir reden mußt. Das ist doch unbedingt nötig. Wäre es wirklich für diesen Sonntag in Dresden unmöglich? Was Du dagegen sagst, ist richtig; was ich dafür sage, aber gleichfalls. Und Du selbst hast mir doch früher öfters und sogar letzthin in Berlin eine Zusammenkunft in Dresden freiwillig angetragen. Da mußten Dir doch die Möglichkeiten einer passenden Einrichtung vorschweben. Versuch es, F., und schreibe mir jedenfalls bald.

Franz


Montag bekam ich eine Karte "Guten Tag wünscht Muzzi Braun". Es stimmte nicht ganz, Dein Telegramm kam erst am Abend.




dass ich das durch Dich erkannt habe, dürfte ich niemals vergessen. : Ein Echo dieses Gedankens findet sich im Schlußkapitel des Prozeß-Romans, der - nach der Lösung des Verlöbnisses - zum größten Teil in der zweiten Hälfte dieses Jahres entstand: Auf dem Weg zu seiner Hinrichtung begegnet Josef K. noch einmal Fräulein Bürstner, oder zumindest einer ihr sehr ähnlich sehenden Frau. (Im Manuskript kürzte Kafka ihren Namen stets mit >F.B.< ab.) Als die ihn begleitenden Henker ihm erlauben, die Wegrichtung zu bestimmen, bestimmt er sie nach dem Weg, "den das Fräulein vor ihnen nahm, nicht etwa, weil er sie einholen, nicht etwa, weil er sie möglichst lange sehen wollte, sondern nur deshalb, um die Mahnung, die sie für ihn bedeutete, nicht zu vergessen." Der Prozeß, S. 268.


mich im untersten Journalismus irgendwo festzuhalten: Vgl. Tagebücher (5. April 1914), S. 372, Briefe an Grete Bloch vom 15. und 17. April 1914, S. 551 und S. 554, Brief an Felice vermutl. März 1916, S.649, und an Kurt Wolff vom 27. Juli 1917, Briefe, S. 157 f.


Muzzi Braun: Die in den folgenden Briefen noch mehrmals genannte Muzzi (oder Wilma) war Felicens Nichte, Tochter ihrer ältesten, in Budapest verheirateten Schwester Else.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at