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An Grete Bloch

[Vermutlich 21. März 1914, Samstag]
 


Liebes Fräulein Grete, will ich den Brief noch heute einwerfen, bleiben mir nur wenige Minuten. Von Freitag her haben Sie noch einen Brief im Bureau. Freitag selbst habe ich nicht geschrieben, weil ich zu zerstreut war. Der heutige Tag sollte nämlich entscheidend sein. Gut, er war entscheidend. Nach einer Woche nutzlosen Wartens hatte ich heute an einem Tag - ich rechne zusammen - von Berlin: 3 Telegramme, einen telephonischen Anruf und einen Expressbrief. Ich war mittag auch schon fast auf dem Weg zum Bahnhof. Das Resultat alles dessen ist, dass ich heute einen langen, vielleicht, wahrscheinlich, den letzten Brief an F. geschrieben habe. Die Klarheit des heutigen Briefes von F. war fast vollständig. Aber davon reden wir besser bei unserem nächsten Wiedersehn. Niederschreiben läßt es sich ganz und gar nicht. Ihre kleine Karte hat mich mehr gefreut als alles was ich von Berlin bekommen habe. Sie sind - jetzt sage ich eine ungeheuere Dummheit oder vielmehr: dumm ist nicht, was ich sage, sondern dass ich es sage - Sie sind also das beste, liebste und bravste Geschöpf.
Auch F. ist es, gewiß, das wird meine ewige Meinung bleiben und loskommen werde ich von ihr - das ist ebenso gewiß - niemals. Aber sie kann mir gegenüber eben nicht anders und wir müssen uns fügen. Vielleicht ist es die gleiche Gewalt die mich an ihr festhält und sie von nur abhält. Da gibt es wirklich keine Hilfe.

Herzlichste Grüße
Ihres
FranzK
20 III 14


Die unterschiedliche Textfarbe wurde auf Grund der Ausgabe "Geteilte Post: 28 Briefe an Grete Bloch. Marbach am Neckar, 2011" gewählt. Laut dem Herausgeber Hans-Gerd Koch: "Aus zwölf dieser Briefe trennt sie jene Teile heraus, die persönliche Dinge betreffen oder falsche Rückschlüsse auf ihre Beziehung zu Kafka zulassen, und behält sie zurück. (Beim Abdruck im vorliegenden Band wurden diese fehlenden Teile in grauer Schrift ergänzt.)" Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wurde für diese Webseite anstelle von grau eine blaue Schriftfarbe verwendet.
In der Ausgabe "Briefe an Felice ..." von 2015 schreibt Koch dagegen: "Den letzten größeren Teil dieses Briefes hat Grete Boch später ihrer Freundin Felice Bauer übergeben ..., den oberen Teil des ersten Blattes mit den Texpassagen "Liebes Fräulein ... Der heutige Tag sollte nämlich ent-" und "ganz und gar ... bravste Geschöpf" (S. 578) behielt sie zurück.

Letzte Änderung: 17.2.2016werner.haas@univie.ac.at