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An Grete Block
Liebes Fräulein Grete, ich weiß nicht, ob ich lange werde schreiben
können, es ist möglich, dass man mich plötzlich abholt,
trotzdem schreibe ich gleich, ich will Sie, selbst wenn der Brief nichts
Wichtiges enthalten kann, nicht unnütz warten lassen, auch das leiseste,
kürzeste Staunen darüber, dass keine Antwort kommt, will
ich nicht verschulden, selbst dazu sind Sie mir-nun sagen wir etwa-zu wichtig.
Aber bestimmen Sie doch (ja, jetzt bin ich antelephoniert worden, ich werde
bald aufhören müssen) selbst nach Ihrem Belieben die Fristen,
in denen wir ganz regelmäßig einander von jetzt ab schreiben
können, unabhängig von verzögernden Launen und Zufällen
und natürlich auch vorbehaltlich wichtiger Nachrichten vor dem regelmäßigen
Termin. Ich für meinen Teil bin glücklich darüber, Sie zu
kennen, aber ich denke auch für Sie wird dieser Verkehr nicht schlecht
sein, besonders da diese ewig belastende Traurigkeit, mit der ich mich
vor Ihnen bisher immer breit gemacht habe, vielleicht doch ein Ende nehmen
wird. Wie lange ich nur z. B. in diesem Zustand gebraucht habe, Sie zu
erkennen! Wie ich nur als regelrechter trockener Schleicher im
Hotel neben Ihnen sitzen und halb an dem vorüberhören konnte,
was Sie sagten!'
Ich sehe aus Ihrem Briefe nicht ganz unzweifelhaft, ob Sie meine beiden
Briefe seit dem Besuch bei F. haben oder nur den zweiten, und ich weiß
daher nicht genau, welche Einzelheiten über F. Sie wissen und welche
Sie wissen wollen. F. sieht sehr wechselnd aus, an der Luft meist sehr
frisch, im Zimmer manchmal müde, gealtert mit fleckiger, rauher Haut.
Ihre Zähne sind noch in schlechterem Zustand, alle, durchwegs alle
plombiert. Diesen Montag begann für sie wieder eine Reihe von Besuchen
beim Zahnarzt, der ihr neue Goldkronen machen wird. Ich kann das alles
und noch anderes feststellen, sehn, genau beobachten, es rührt auch
von der Feme nicht an mein Gefühl für F.
Ihre Einwände gegen eine Heirat mit mir waren ernsthaft so ausgesprochen,
wie ich sie letzthin angeführt habe, bis etwa auf die Bemerkungen
über Eisenbahnen, Theaterbesuche u.s.w., die außerhalb der eigentlichen
Reihe nebenbei fielen, aber doch ausdrücklich gegen mich gerichtet
waren. Nein, ich halte es nicht für oberflächliche Anschauungen,
das kann ich nicht sagen; warum sollten sie nicht tief begründet sein?
Liebe ich das Ganze, liebe ich auch die Konsequenzen; dass man manchmal
dabei die Zähne fletschen möchte, unterbricht nichts. Aber darin,
liebes Fräulein Grete, müßten Sie doch F. kennen?
Ich sehe auf die Uhr, es ist höchste Zeit, ich beantworte morgen den
übrigen Teil Ihres Briefes.
Leben Sie wohl und bleiben Sie bitte die gute Freundin
Ihres (ja wie denn?) Franz K.
der zum Dank für die Sonne nur die Eiseskälte seines Zimmers
hat, die er lieber für sich behält.
im Hotel neben Ihnen: Erste Zusammenkunft in Prag
Anfang November 1913.
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at