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An Grete Bloch

3.III.14
 


Liebes Fräulein Grete, den Naturheilkundigen überrascht es nicht, dass Sie Kopfschmerzen haben, dem Freund tut es aber sehr leid. Wie ist es aber möglich, bei Ihrer Lebensweise Kopfschmerzen abzuhalten, da Sie so viel arbeiten, kaum ausgehn, gar nicht turnen, abends auf dem Kanapee liegen, um es dann mit dem Bett zu vertauschen, bei geschlossenem Fenster schlafen, in der Nacht Gaslicht brennen lassen, fast jeden Tag (einmal schrieben Sie so) quälende Nachrichten bekommen, von Ihrer Familie sich verlassen fühlen und darunter leiden (F., die öfters bei Ihrer Familie gewesen ist, er zählte, dass Ihre Mutter sich nach Ihnen sehnt und glücklich wäre, wenn Sie in Berlin einen Posten hätten) - schließlich hält es der beste Kopf nicht aus, wenn so von allen Seiten auf ihn losgeschlagen wird. Würden Sie nicht als erste und zarteste Änderung Ihrer Lebensweise auf meinen Rat für eine Zeitlang vegetarisches Essen für sich einführen? Ich kann mir überhaupt nicht denken, dass Sie in dieser kleinen Hölle von Pension, die Sie übrigens sehr klar überschauen und dadurch schon ein wenig unschädlich machen, besonders gut versorgt sein sollten. Oder kocht der (oder das) "Trampel" gar so vorzüglich? Und Fleisch richtet in so einem übermüdeten und geplagten Körper, wie es der Ihre ist (um Gottes willen, bis 11 Uhr im Bureau!), nur Verwüstungen an; die Kopfschmerzen sind nichts anderes als ein jammern des Körpers darüber. Nun gibt es aber in der Opolzer Straße in der Nähe des Hofburgtheaters das beste vegetarische Speisehaus, das ich kenne. Rein, freundlich, eine ganz angenehme Wirtsfamilie. Vielleicht ist es sogar näher bei Ihrem Bureau als Ihre Wohnung, in die Sie, wie ich annehme, nur laufen, um nach dem Essen zurückzulaufen. Daß die Pension in der "Thalisia" (so heißt das Speisehaus) billiger ist, als Ihre bisherige Pension, ist ganz gewiß und Billigkeit ist Ihnen doch wichtig, da Sie, (daran dachte ich früher gar nicht; wer darf denn das von Ihnen verlangen?) auch noch Geld wegschicken müssen. Daß Sie aber dort viel besser und mit Freude essen werden (wenn auch vielleicht nicht gleich in den ersten Tagen), dass Sie sich überhaupt freier und widerstandskräftiger fühlen werden, dass Sie besser und im Dunkel schlafen und frischer und hoffentlich ohne Kopfschmerzen wach sein werden, daran ist für mich gar kein Zweifel. Wenn Sie das doch versuchen wollten.

(Jetzt sitzen meine Eltern am Tisch, ich kann nicht mehr so ruhig schreiben, der Vater atmet schwer durch den Mund, jetzt liest er noch das Abendblatt, dann aber fängt er mit der Mutter das gewöhnliche Kartenspiel mit Ausrufen, Lachen und Streit an, Pfeifen nicht zu vergessen.)

Den Brief nach München habe ich gleich eingeworfen, wußte aber nicht, ob ich recht tue, weiß es auch noch heute nicht. Aber urteilen kann ich darüber nicht, und so habe ich Ihnen gefolgt. Ein Besuch bringt doch immer Klarheit, warum hätte es dieser nicht tun sollen? Über den Zusammenhang, der zwischen Ihnen, dem Mädchen und dem Mann gewesen sein soll, denke ich nutzlos nach. War es in Berlin?

Zu der Zeit, als Sie Ihre letzten Bemerkungen über F. und mich niederschrieben, am Sonntag vormittag, gingen wir, F. und ich, im Tiergarten spazieren. Vielleicht sagte F. gerade: "Hör doch auf zu bitten. Immerfort willst Du das Unmögliche", oder vielleicht sagte sie: "Es ist so. Du mußt es glauben. Halte Dich doch nicht an jedes Wort", oder: "Ich kann Dich ganz gut leiden, aber das langt nicht zur Ehe. Halbes aber tue ich nicht", worauf ich antwortete : "Das andere ist aber doch auch nur ein halbes", worauf F. antwortete: "Ja, aber es ist die größere Hälfte." Wahrscheinlich aber sagte F., während Sie schrieben, überhaupt gar nichts, sondern sah stumpf seitwärts und ließ mich unverantwortliche Reden und Versprechungen vorbringen, die ich gestern in einem Brief alle samt und sonders widerrufen habe.

Sie werden einen Unterschied zwischen meiner Dresdner Karte und meinem gestrigen Brief bemerkt haben. Er ist durch einen guten und festen Entschluß erklärt, der mir die Möglichkeit gibt, allein, ohne F. (wenigstens ohne F. als positivem Inhalt meines Lebens) weiterzuleben, so lange es eben geht. Bis etwas Wirkliches daraus wird, schreibe ich es Ihnen sofort, es ist aber noch eine kleine Frist bis dahin.

Sehr schade, dass Sie nicht einmal geschäftlich herkommen. Die Ausstellung wird also doch sein? Ich fragte F. darüber, sie wußte aber davon gar nichts, nur von einer Ausstellung, die nächstes Jahr wahrscheinlich in Düsseldorf sein wird.

Um 7 Uhr habe ich im allgemeinen nichts mehr im Bureau zu tun, nur wenn ich vor lauter andern Gedanken vormittag gar nichts gemacht habe oder wenn ich mir einen Tag Urlaub nehmen will, wie letzthin.

Wenn in meiner Unterschrift ein Unterschied gegen früher ist, so bedeutet er das Gegenteil dessen, was Sie glauben oder besser nicht glauben, sondern nur im Scherz sagen. Ich sehe meinen Namen nicht gern geschrieben und nehme umwillkürlich von jemandem, dein ich mich nahe fühle, das gleiche an. Was im Namen steckt, ist diesem Menschen gegenüber selbstverständlich. Trotzdem: Herzlichste Grüße Ihres

Franz Kafka


Die unterschiedliche Textfarbe wurde auf Grund der Ausgabe "Geteilte Post: 28 Briefe an Grete Bloch. Marbach am Neckar, 2011" gewählt. Laut dem Herausgeber Hans-Gerd Koch: "Aus zwölf dieser Briefe trennt sie jene Teile heraus, die persönliche Dinge betreffen oder falsche Rückschlüsse auf ihre Beziehung zu Kafka zulassen, und behält sie zurück. (Beim Abdruck im vorliegenden Band wurden diese fehlenden Teile in grauer Schrift ergänzt.)" Um die Lesbarkeit zu erleichtern, wurde für diese Webseite anstelle von grau eine blaue Schriftfarbe verwendet.

Reden und Versprechungen: Gemeint ist die Auseinandersetzung in Berlin am Sonntag, dem 1. März 1914. Vgl. Tagebücher (März 1914), S. 366 und Briefe an Felice vom 17., 21. und 25. März, 3. und 9. April 1914, S. 523, 528ff., 533, 538f. u. S. 546.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at