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An Felice Bauer

21. [22. Und 23.] VI.13
 


Liebste, auch das und vielleicht das vor allem berücksichtigst Du in Deinen Überlegungen nicht genug, trotzdem wir schon viel darüber geschrieben haben: dass nämlich das Schreiben mein eigentliches gutes Wesen ist. Wenn etwas an mir gut ist, so ist es dieses. Hätte ich dies nicht, diese Welt im Kopf, die befreit sein will, ich hätte mich nie an den Gedanken gewagt, Dich bekommen zu wollen. Was Du jetzt zu meinem Schreiben sagst, kommt nicht so sehr in Betracht, Du wirst, wenn wir beisammen sein sollten, bald einsehn, dass, wenn Du mein Schreiben mit oder wider Willen nicht lieben wirst, Du überhaupt nichts haben wirst, woran Du Dich halten könntest. Du wirst dann schrecklich einsam sein, Felice, Du wirst nicht merken, wie ich Dich liebe, und ich werd: Dir kaum zeigen können, wie ich Dich liebe, trotzdem ich Dir dann vielleicht ganz besonders angehören werde, heute wie immer. Langsam werde ich ja zerrieben zwischen dem Bureau und dem Schreiben (das gilt auch für jetzt, trotzdem ich seit 5 Monaten nichts geschrieben habe), wäre das Bureau nicht, dann wäre freilich alles anders und diese Warnungen müßten nicht so streng sein, so aber muß ich mich doch zusammenhalten, so gut es nur geht. Was sagst Du aber, liebste Felice, zu einem Eheleben, wo, zumindest während einiger Monate im Jahr, der Mann um ½3 oder 3 aus dem Bureau kommt, ißt, sich niederlegt, bis 7 oder 8 schläft, rasch etwas ißt, eine Stunde spazierengeht, dann zu schreiben anfängt und bis 1 oder 2 Uhr schreibt. Könntest Du denn das ertragen? Vom Mann nichts zu wissen, als dass er in seinem Zimmer sitzt und schreibt? Und auf diese Weise den Herbst und den Winter verbringen? Und gegen das Frühjahr zu den Halbtoten an der Tür des Schreibzimmers empfangen und im Frühjahr und Sommer zusehn, wie er sich für den Herbst zu erholen sucht? Ist das ein mögliches Leben? Vielleicht, vielleicht ist es möglich, aber Du mußt es doch bis zum letzten Schatten eines Bedenkens überlegen. Vergiß dabei aber nicht andere Eigenheiten, die mit dem Vorigen zusammenhängen, aber außerdem in unglücklichen Anlagen begründet sind. Seit jeher war es mir peinlich oder zumindest beunruhigend einen Fremden oder selbst einen Freund in meinem Zimmer zu haben, nun hast Du jedenfalls Menschen gerne vielleicht auch Gesellschaften, ich könnte mich aber nur mit größter Mühe, fast mit Schmerz überwinden, Verwandte oder selbst Freunde in meiner oder - ich wage das Wort - in unserer Wohnung zu empfangen. Nichts fiele mir z. B. leichter, als in Prag wohnen und meine Verwandten überhaupt nicht zu selm, trotzdem sie durchaus die bravsten und insbesondere gegen mich die bravsten Menschen sind und sie mir schon alle mehr unverdient Gutes getan haben, als ich ihnen jemals tun könnte. Mein Streben wäre also vorläufig eine Wolhnung möglichst am Rande der Stadt, so recht unzugänglich, und mein weiteres Streben wäre für später durch Sparen ein kleines Haus mit Garten vor der Stadt zu beschaffen. Aber nun denke, Felice, Du wärest dann eigentlich in einer ähnlichen Lage wie Deine Budapester Schwester, die Du so bemitleidest, nur dass Deine Lage durch mich noch verschärfter wäre und auch ein anderer Trost Dir fehlen würde, den Deine Schwester hat. Was sagst Du nun? Darauf muß ich ganz genaue Antwort haben, das siehst Du gewiß ein, ganz genaue Antwort.

Ich weiß, Felice es gibt eine einfache Möglichkeit, sich mit diesen Fragen rasch und günstig auseinanderzusetzen, nämlich die, dass Du mir nicht glaubst oder wenigstens für die Zukunft nicht glaubst oder wenigstens nicht vollständig glaubst. Ich fürchte, Du bist nahe daran. Das wäre allerdings das Schlimmste. Dann begehst Du, Felice, die größte Sünde an Dir und infolgedessen auch an mir. Dann gehn wir beide ins Verderben. Du mußt mir glauben, was ich von mir sage, es ist die Selbsterfahrung eines 30 jährigen Menschen, der schon einige Male aus innersten Gründen nahe am Irresein, also an den Grenzen seines Daseins war, also einen ganzen Überblick über sich hat und über das, was in diesen Grenzen aus ihm werden kann.

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22. VI.


Das ist Samstag abend geschrieben worden, jetzt ist Sonntag nachmittag, ich habe ein Rendezvous mit Werfel und andern, und um ½6 muß ich meine Eltern abholen. Geschlafen habe ich in der Nacht nur ganz kurze Zeit [*], der Kopf ist nicht in Ordnung, ich weiß nicht, ob ich alles so richtig werde niederschreiben können, wie ich will.

Jedenfalls mußt Du in Deine Überlegungen den Umstand mit einbeziehn, dass ich in meiner Stellung im Bureau durchaus nicht fest sitze, die Verzweiflungszustände wegen der Arbeit dort, wegen dieses schrecklichen Hindernisses für mein Leben, wiederholen sich ständig und werden stärker, denn die Kraft, das Gleichgewicht herzustellen, schwindet an der Unmöglichkeit der Aufgabe immer mehr hin. Ich war schon öfters sehr nahe daran zu kündigen und was ein bestimmter Entschluß nicht bewirkt, wird möglicherweise die Ohnmacht meine Arbeiten dort auszuführen, die schon zeitweise entsetzlich und von Vorgesetzten genau beobachtet war, von selbst bewirken. Was aber dann?

Aber selbst wenn und solange ich bleibe, also im günstigen, vergleichsweise günstigen Fall, werden meine Frau und ich arme Leute sein welche diese 4588 K sorgfältig werden einteilen müssen. Wir werden viel ärmer sein als z.B. meine Schwestern, die gewissermaßen wohlhabend sind. (Von meinen Eltern kann ich, wenigsten zu ihren Lebzeiten, nichts bekommen.) Wir werden ärmer sein als Max und Oskar. Wird das meine Frau nicht beschämen und infolgedessen, nur infolgedessen, auch mich? Wird sie das ertragen? Und wenn irgendwelche große Ausgaben eintreten werden, durch Krankheit oder sonstwie, werden wir gleich verschuldet sein. Wird sie auch das ertragen?

Du hast schon mehrmals irgendein Leid erwähnt, das Ihr früher zuhause erlitten und ertragen habt. Was war das für Leid? Kann man daraus vielleicht auf Tragfähigkeit für anderes Leid schließen?

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23. VI.


Montag, kein Brief, wider Erwarten keiner. -Jetzt bin ich gerade mit meinem Vater im Nebenzimmer gewesen, wo gerade der kleine Felix aufgewacht ist. Ich hätte den Vater zu sehr gekränkt, wenn ich nicht mitgekommen wäre. Wie mich aber das Spiel anwidert, das der Vater mit dem Kind treibt und das alle mit ihm treiben! Gestern nachmittag, als alle nach der Ankunft der Eltern bei uns versammelt waren, und als alle im Spiel mit diesem Kinde, mein Vater geradezu wild allen voran, ganz besinnungslos zuunterst im Geschlechtlichen sich verloren, war ich angewidert, als sei ich zum Leben in einem Stall verurteilt, trotzdem ich mir vollständig genau einerseits meiner allzu großen Empfindlichkeit in dieser Hinsicht und andererseits auch des moralischen, merkwürdigen und von der Ferne selbst schönen Anblicks des Ganzen bewußt war. Aber da saß freilich auch meine arme Mutter da, die niemals Zeit dazu hatte und es auch nicht richtig anzustellen gewußt hätte, ihren Körper in Ordnung zu halten und die nun von den 6 Geburten und der Arbeit aufgedunsen und gekrümmt ist, da war mein Vater hochrot im Gesicht, das ruhige Leben in Franzensbad ist seinem Leiden auch nicht gut, da war meine älteste Schwester, die vor 2 Jahren noch ein junges Mädchen war und sich nach 2 Geburten mehr aus Nachlässigkeit und Unwissenheit als aus Zeitmangel wahrhaftig im Aussehen des Körpers schon meiner Mutter annähert und in einem sonderbaren Mieder mit verquollenem Körper dasitzt. Und wenn man genau zusieht, nähert sich sogar meine mittlere Schwester schon der ältesten. Liebste, wie ich mich zu Dir geflüchtet habe! Und nun hast Du gestern nicht an mich gedacht und die Fragen nicht beantwortet, so unumgänglich ihre Beantwortung ist. Ich muß aber die Beantwortung haben, die ganz genaue Beantwortung. Ebenso wie Du mich mit nichts kränken wirst, darfst Du Dich auch durch mich nicht gekränkt fühlen, aber nicht nur das, Du darfst auch nicht etwa aus einem Trotzgefühl (wie Du es mir einmal hinsichtlich des Buches von Werfel erklärt hast) schweigen, dazu ist doch jetzt wirklich keine Zeit, und Du darfst Dich schließlich auch auf keinen Fall durch irgendwelche Mitteilungen, die Dir Max damals in Berlin gemacht hat, beirren lassen. Nur auf das, was ich jetzt schreibe, mußt Du, hören, Felice, nur auf das mußt Du antworten, aber auf alles, nicht nur auf die Fragen. Dafür verspreche ich Dir aber, wenn Du das tust, und in welchem Sinne immer, an Deine Eltern, wenn ich um Dich bitte, nur ganz kurz zu schreiben. Es ist wirklich nur unsere Sache, aber Du mußt ihr gerecht werden.

Franz


[*] [Zwischen den Zeilen] hätte ich soviel geschlafen, als ich an Dich gedacht habe, es wäre viel gewesen


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at