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An Felice Bauer

26. VI. 13
 


Liebste Felice, als ich heute Deinen Brief gelesen hatte, nicht einmal natürlich, erschien mir unsere Lage so schrecklich, dass ich über den Tisch hinweg meinem Kollegen, diesem komischen und lieben Menschen, von dem ich Dir gewiß schon einmal geschrieben habe, das "Du" anbot. Er steckt nämlich in einer für den Augenblick unglücklichen und in ihrer Komik ihm ähnlichen Liebesgeschichte, die aber sicher gut ausgehn wird. Und nun jammert er fortwährend, ich muß ihn nicht nur trösten, sondern auch ihm helfen, und so habe ich in diesem Hin und Her von Glück und Unglück, das Dein Brief bedeutet, ihm in irgendeiner augenblicklichen Hilflosigkeit, ohne ihn weiter ins Vertrauen zu ziehn oder zielen zu wollen (er ist übrigens unabsehbar treu und wahrhaftig), die Hand zum "Du" gereicht. Es war übertrieben und ich habe es dann bedauert.

Ich bin heute nicht in der Verfassung, Dir, Felice, richtig zu antworten, mein Kopf schmerzt mich, ich habe Dir viel zu sagen und kann es nicht in eines zusammenfassen. Du antwortest nicht alles und nicht auf alles, aber Du antwortest lieb und so ausführlich als es Dir augenblicklich möglich ist, mehr kann ich nicht verlangen. Ein Fortschritt in der Sache selbst besteht ja darin, dass durch diese Briefe der Gegenstand klarer und vor allem umgrenzter wird.

Ich habe Dir jetzt 2 Tage nicht geschrieben, weil ich Dir erstens Ruhe zum Überlegen geben wollte und weil ich zweitens traurig über Deinen Kartenbrief vom Montag war, sowohl über seinen Inhalt als auch darüber, dass Du dort versprachst, noch abend zu schreiben, trotzdem ich von vornherein wußte, dass Du es nicht tun würdest, trotzdem Du es wirklich nicht getan hast und trotzdem Du schon so oft versprochen hast, nur ganz Bestimmtes bestimmt zu versprechen.

Soweit ich es heute in meinem dummen Zustand einsehe, hängt das Zustandekommen unseres gemeinsamen Glücks von der Verwirklichung der paar "vielleicht" ab, die in Deinem Briefe stehn. Wie das feststellen? Es ist höchst unsicher, ob ein längeres Beisammensein zu dieser Feststellung genügen würde. Aber es besteht nicht einmal eine Möglichkeit, dieses Beisammensein für längere Zeit herzustellen. Ferienzeit und -ort sind nicht die gleichen und Berlin ist nicht der richtige Platz für dieses Beisammensein. Ein kurzes Beisammensein ist in dieser Hinsicht aber nutzlos. Aber weder ein kurzes noch ein langes Beisammensein genügt. Denn hier handelt es sich nur um Glauben, Mut und Sicherheit von Deiner Seite. Um Glauben: denn Deine Annahmen sind, glaube mir, Felice, nicht richtig. Mein Verhältnis zum Schreiben und mein Verhältnis zu den Menschen ist unwandelbar und in meinem Wesen, nicht in den zeitweiligen Verhältnissen begründet. Ich brauche zu meinem Schreiben Abgeschiedenheit, nicht "wie ein Einsiedler", das wäre nicht genug, sondern wie ein Toter. Schreiben in diesem Sinne ist ein tieferer Schlaf, also Tod, und so wie man einen Toten nicht aus seinem Grabe ziehen wird und kann, so auch mich nicht vom Schreibtisch in der Nacht. Das hat nichts Unmittelbares mit dem Verhältnis zu Menschen zu tun, ich kann eben nur auf diese systematische, zusammenhängende und strenge Art schreiben und infolgedessen auch nur so leben. Aber Dir wird es "recht schwer werden", wie Du schreibst. Die Furcht vor Menschen habe ich seit jeher gehabt, nicht eigentlich vor ihnen selbst, aber vor ihrem Eindringen in meine schwache Natur, das Betreten meines Zimmers durch die Befreundetsten war mir ein Schrecken, war mir mehr als nur ein Symbol dieser Furcht. Aber ganz abgesehen davon, trotzdem davon nicht abgesehen werden kann, wie können denn Leute, und seien es Mutter und Vater, in dem beschriebenen Herbst- und Winterleben zu uns kommen, ohne dass sie :eich und, wenn sie mit mir fühlt, meine Frau unerträglich stören? "Aber so zurückgezogen zu leben, ob Du das könntest, weißt Du nicht." "Ob ich Dir alle Menschen ersetzen könnte, weißt Du nicht." Liegt darin Antwort, liegt darin Frage?

Das Bureau? dass ich es einmal aufgeben kann, ist überhaupt ausgeschlossen. Ob ich es aber nicht einmal aufgeben muß, weil ich nicht mehr wciterkann, das ist durchaus nicht so ausgeschlossen. Meine innere Unsicherheit und Unruhe ist in dieser Hinsicht schrecklich, und auch hier ist das Schreiben der einzige und eigentliche Grund. Die Sorgen um Dich und mich sind Lebenssorgen und gehören mit in den Bereich des Lebens und würden deshalb gerade mit der Arbeit im Bureau sich schließlich vertragen können, aber Schreiben und Bureau schließen einander aus, denn Schreiben hat das Schwergewicht in der Tiefe, während das Bureau oben im Leben ist. So geht es auf und ab und man muß davon zerrissen werden.

Das einzige, was durch Deinen Brief vielleicht endgiltig ausgeschieden wird, sind die Bedenken wegen des unzureichenden Geldes. Das wäre schon viel. Ob Du es aber auch richtig überlegt hast?

Und so gellt die Zeit mit Fragen hin. Ich erinnere mich nicht, geschrieben zu haben "es sei sehr eilig", aber gemeint habe ich es.

Franz


[Am linken Rand der letzten Seite] Die Montagszeitung? Wenn nichts vom "Heizer" drin ist, muß ich sie natürlich nicht haben.


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at