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An Felice Bauer

vom 30. Zum 31.1.13
 


Liebste, quäle Dich doch nicht ab, mir ausführlicher zu schreiben, als es Dir Deine Zeit bequem erlaubt, ich will doch Dein guter Geist, nicht Dein Quälgeist sein. Ein Gruß und die Versicherung, dass Du für mich da bist - damit bin ich in solchen Zeiten ganz zufrieden. Überbürdet man Dich nicht ein wenig im Bureau, nun wird neben der Fakturistin und Frl. Großmann ein drittes Mädchen krank, dessen Arbeit man Dir aufladet? Da könnte doch schließlich die Direktion begreifen, dass das zuviel ist.

Um wie viel besser habe ich es doch als Du oder könnte es vielmehr haben! Du würdest, hättest Du so viel freie Zeit wie ich, ein gutes, nützliches Leben führen, von dem Du und alle Freude hätten, Du tust es ja jetzt nicht anders, trotzdem Du bis ¾8 abend ohne Mittagpause - es ist schrecklich - an Dein Bureau gebunden bist. Ich tue eigentlich gar nichts, Menschen mit Launen, die in ihre Arbeit eingreifen, sollte man in keinem Bureau dulden, Du würdest den Kopf schütteln, wenn Du sehen würdest, was ich z.B. heute im Bureau gearbeitet habe. Ich habe eine Menge verschiedenartigster alter Sachen auf dem Tisch liegen - wenn auch nicht so viele wie vor einiger Zeit denn es gab inzwischen eine Woche mäßig guter Arbeit - aber heute sollte ich vor allem einen im übrigen gleichgültigen Bericht ans Ministerium, den ich gestern begonnen hatte, zu Ende machen. Es war mir unmöglich, mir fiel nichts ein, dabei gab es heute eine große manipulative Arbeit im Bureau, zu der ich auch meinen Schreibmaschinisten hergeben mußte, ich saß also selbst bei der Maschine und fühlte mich zu nichts anderem geschaffen, als die Hände im Schoß zu halten. Selbst die Schreibmaschine verliert in solchen Zeiten die Fähigkeit zu schreiben, und wenn man sie so anschaut, sieht sie wie eine alte, längst überholte Erfindung aus und ist nur altes Eisen. Ich habe etwa 8 Seiten geschrieben und habe für morgen die schöne Aussicht, diese 8 Seiten als nichtsnutzig zerreißen zu müssen und den Bericht, der etwa auf 20 Seiten berechnet ist, von neuem anzufangen. Nur ganz selten fließt mir das Diktat aus dem Mund, wie die Reden der homerischen Helden, und es ist eben die Gefahr der Seltenheit, dass sie mit einem Mal für immer ausbleiben kann. Allerdings, man lebt ja, und die Säfte nehmen ihren wenn auch schwerfälligen Gang. Nun bedenke aber, dass ich außer der Bureauarbeit fast gar nichts mache und meinen Vater wegen meiner Vernachlässigung der Fabrik kaum anzuschauen, wie denn erst anzureden wage. Nun Liebste, lobe mich ein wenig wegen meiner schönen Lebensweise.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at