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An Felice Bauer
Es gehört wohl in die Reihe alles Neuen, was ich seit dem letzten
Sommer erlebt habe, dass ich endlich und ausgiebig verkühlbar
geworden bin wie andere Menschen. Und dass ich mich verkühle,
ohne den Grund zu wissen und trotz dieser abgehärteten, tausendmal
massierten Haut. Sollte mir am Ende der heiße Tee fehlen, an dem
sich meine Liebste nach meiner (jetzt allerdings nach diesen Verkühlungen
nicht mehr maßgebenden) Meinung so gern erregt? Weißt Du, es
gab Zeiten, wo ich in der Unmöglichkeit des Mich-Verkühlens ein
nicht unwichtiges Zeichen meines immer rascheren Unterganges zu erkennen
glaubte; von der Tatsache dieses raschen Untergangs war ich immer überzeugt.
Ich sagte mir: (das Nicht-Verkühlen war natürlich nur ein Zeichen
unter vielen) so löse ich mich nach und nach aus der menschlichen
Gemeinschaft; ich paßte überall auf, wo ich etwas dafür
Beweisendes finden konnte; jede Kleinigkeit mißlang mir; nicht jede
Furcht bestätigte sich, aber jede Hoffnung wurde getäuscht; wenn
ich mit jemandem über das Gleichgültigste redete, und er sah
nur einnwenig zur Seite, fühlte ich mich schon verstoßen und
sah kein Mittel, das Gesicht des andern zu mir hinüberzuziehn und
so festzuhalten. Einmal gelang es mir, Max, den für solche Zustände
sonst ganz Unzugänglichen, fast vollständig davon zu überzeugen,
dass es mit mir immerfort ärger werde, und dass niemand,
selbst wenn er mich noch so lieb habe, sich ganz nah zu mir setze, mir
in die Augen schaue, um mich aufzumuntern, mich gar umfasse, (dies schon
mehr aus Verzweiflung als aus Liebe) irgendwie imstande sei, mich zu retten.
Ich müsse mir überlassen bleiben, das sei auch mir am liebsten,
und im übrigen so lange ertragen werden, als es menschenmöglich
sei. Wir machten damals, wir zwei allein, einen Ausflug nach Dobřichowic,
einem schönen Ort in der Nähe von Prag, wo wir auch übernachteten.
Der eine Nachmittag war ganz verregnet, ich lag auf dem Kanapee in Maxens
Zimmer (wir hatten 2 Zimmer, denn ich muß allein in einem Zimmer
schlafen, Du siehst das am Ende gar für Muth an, es ist aber nur Ängstlichkeit,
die folgert: ebenso wie man, wenn man auf dem Boden liegt, nicht fallen
kann, kann einem auch nichts geschehn, wenn man allein ist), war ganz stumpf,
konnte aber nicht einschlafen, wollte aber auch die Augen nicht offenhalten,
um Max nicht zu stören, der am Tisch die Novelle "Die Tschechin"
(die Du vielleicht im Berliner Tageblatt später gelesen hast) anfing
und zu Ende führte, so lag ich also mit geschlossenen Augen, hörte
gelangweilt dem Regen zu, der auf dem Holzdach und der Holzterrasse besonderen
Lärm machte und brannte darauf, dass Max endlich mit der Geschichte
fertig werde (die er übrigens rasend schrieb, die Feder strich nur
so über das Papier), damit ich aufstehn und mich ein wenig strecken
könne, allerdings zu keinem andern Zweck, als um wiederum Lust zu
bekommen, mich von neuem auf das Kanapee zu werfen und weiterhin stumpf
dazuliegen. So habe ich viele Jahre, und wenn ich genauer zurückzuschauen
versuche, unendlich viele Tage gelebt. Deine Hand, Liebste, damit eine
gleiche Unendlichkeit schöner Tage kommt! Deine schöne, liebe
Hand, nach der ich ja doch nicht zu greifen wage.
Franz
Letzte Änderung: 17.4.2009 werner.haas@univie.ac.at