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An Felice Bauer

vom 29. zum 30.1. 13
 


Es gehört wohl in die Reihe alles Neuen, was ich seit dem letzten Sommer erlebt habe, dass ich endlich und ausgiebig verkühlbar geworden bin wie andere Menschen. Und dass ich mich verkühle, ohne den Grund zu wissen und trotz dieser abgehärteten, tausendmal massierten Haut. Sollte mir am Ende der heiße Tee fehlen, an dem sich meine Liebste nach meiner (jetzt allerdings nach diesen Verkühlungen nicht mehr maßgebenden) Meinung so gern erregt? Weißt Du, es gab Zeiten, wo ich in der Unmöglichkeit des Mich-Verkühlens ein nicht unwichtiges Zeichen meines immer rascheren Unterganges zu erkennen glaubte; von der Tatsache dieses raschen Untergangs war ich immer überzeugt. Ich sagte mir: (das Nicht-Verkühlen war natürlich nur ein Zeichen unter vielen) so löse ich mich nach und nach aus der menschlichen Gemeinschaft; ich paßte überall auf, wo ich etwas dafür Beweisendes finden konnte; jede Kleinigkeit mißlang mir; nicht jede Furcht bestätigte sich, aber jede Hoffnung wurde getäuscht; wenn ich mit jemandem über das Gleichgültigste redete, und er sah nur einnwenig zur Seite, fühlte ich mich schon verstoßen und sah kein Mittel, das Gesicht des andern zu mir hinüberzuziehn und so festzuhalten. Einmal gelang es mir, Max, den für solche Zustände sonst ganz Unzugänglichen, fast vollständig davon zu überzeugen, dass es mit mir immerfort ärger werde, und dass niemand, selbst wenn er mich noch so lieb habe, sich ganz nah zu mir setze, mir in die Augen schaue, um mich aufzumuntern, mich gar umfasse, (dies schon mehr aus Verzweiflung als aus Liebe) irgendwie imstande sei, mich zu retten. Ich müsse mir überlassen bleiben, das sei auch mir am liebsten, und im übrigen so lange ertragen werden, als es menschenmöglich sei. Wir machten damals, wir zwei allein, einen Ausflug nach Dobřichowic, einem schönen Ort in der Nähe von Prag, wo wir auch übernachteten. Der eine Nachmittag war ganz verregnet, ich lag auf dem Kanapee in Maxens Zimmer (wir hatten 2 Zimmer, denn ich muß allein in einem Zimmer schlafen, Du siehst das am Ende gar für Muth an, es ist aber nur Ängstlichkeit, die folgert: ebenso wie man, wenn man auf dem Boden liegt, nicht fallen kann, kann einem auch nichts geschehn, wenn man allein ist), war ganz stumpf, konnte aber nicht einschlafen, wollte aber auch die Augen nicht offenhalten, um Max nicht zu stören, der am Tisch die Novelle "Die Tschechin" (die Du vielleicht im Berliner Tageblatt später gelesen hast) anfing und zu Ende führte, so lag ich also mit geschlossenen Augen, hörte gelangweilt dem Regen zu, der auf dem Holzdach und der Holzterrasse besonderen Lärm machte und brannte darauf, dass Max endlich mit der Geschichte fertig werde (die er übrigens rasend schrieb, die Feder strich nur so über das Papier), damit ich aufstehn und mich ein wenig strecken könne, allerdings zu keinem andern Zweck, als um wiederum Lust zu bekommen, mich von neuem auf das Kanapee zu werfen und weiterhin stumpf dazuliegen. So habe ich viele Jahre, und wenn ich genauer zurückzuschauen versuche, unendlich viele Tage gelebt. Deine Hand, Liebste, damit eine gleiche Unendlichkeit schöner Tage kommt! Deine schöne, liebe Hand, nach der ich ja doch nicht zu greifen wage.

Franz


Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at