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An Felice Bauer
Gar keine Nachricht, meine Liebste, im Bureau sagte ich, wenn etwas nachmittag
käme, solle man es mir schicken, es kam aber nichts. Gestern gab es
zwei Briefe, hätte es sich lieber verteilt! Aber unruhig bin ich nicht;
wenn Du so geplagt wirst wie in der letzten Zeit, kannst Du ruhig auch
einen Tag auslassen, ich halte Dich in meinem Innern fest und weiß
doch von Dir.
Ich bin noch immer verkühlt oder eigentlich nicht verkühlt, sondern
habe nur ein, vielleicht zum großen Teil hypochondrisches, aber doch
ein wenig unheimliches Kältegefühl über den ganzen Rücken
hin, als sei immerfort eine Spritze mit kaltem Wasser gegen mich gerichtet
und fände mich, wo ich gehe und stehe. Auch jetzt während des
Schreibens im warmen Zimmer, es ist etwas Teuflisches.
Wenn man in solcher Verfassung ist, kann einen nichts lustig machen, als
wenn man einen Brief mit solchen Zumutungen bekommt, wie ich ihn heute
von Stoessl bekam. Er schreibt auch über mein Buch
[Betrachtung], aber mit so vollständigem Mißverständnis,
dass ich einen Augenblick geglaubt habe, mein Buch sei wirklich gut,
da es selbst bei einem so einsichtigen und literarisch vielgeprüften
Mann wie Stoessl solche Mißverständnisse erzeugen kann, wie
man sie Büchern gegenüber für gar nicht möglich halten
sollte und wie sie nur gegenüber lebenden und deshalb vieldeutigen
Menschen möglich sind. Als einzige Erklärung bleibt dass
er das Buch flüchtig oder stellenweise oder (was allerdings bei dem
Eindruck der Treue, die sein Wesen in jeder Äußerung macht,
unwahrscheinlich ist) gar nicht gelesen hat. Ich schreibe hier die betreffende
Stelle für Dich ab, seine Schrift ist nämlich ganz unlesbar und
wenn Du nach vieler Mühe auch glauben würdest, sie lesen zu können,
würdest Du gewiß mit mißverständlichen Deutungen
lesen. Er schreibt: "Ich habe Ihr äußerlich und innerlich
gleich schön geratenes Buch sofort und in einem Zuge gelesen und mich
an der eigentümlichen schwebenden Gehaltenheit und leichten, innersten
Heiterkeit der kleinen Denkmäler kleiner, großer Augenblicke
sehr erfreut. Es ist ein besonders schicklicher, sozusagen nach innen gerichteter
Humor darin, nicht anders, als man nach einer gut durchschlafenen Nacht,
nach erquickendem Bad, frisch angezogen, einen freien sonnigen Tag mit
froher Erwartung und unbegreiflichem Kraftgefühl begrüßt.
Ein Humor der guten eigenen Verfassung. Es könnte keine bessere Bedingung
eines Autors selbst, keine schönere Bürgschaft für ihn gedacht
werden, als dieser lautere Stimmungsinhalt seiner ersten Sachen."
Es bleibt übrigens noch eine Erklärung für dieses Urteil,
die ich oben vergessen habe, nämlich die, dass ihm das Buch nicht
gefällt, was bei der Mischung seines Wesens leicht zu denken wäre.
Der Brief paßt übrigens ganz gut zu einer heute erschienenen,
übertrieben lobenden Besprechung, die in dem Buch
nur Trauer findet.
Heute abend ist Sophie [Friedmann] gekommen, hätte ich nicht diesen
kalt übergossenen Rücken und den "Humor der eigenen guten
Verfassung", ich hätte sie sehr gerne von der Bahn geholt. Wenn
ich schon keine Nachricht von Dir hatte, hätte ich doch paar Augen
gesehn, die Dich wochenlang gesehen haben, auch Dein Name wäre gewiß
genannt worden, und wenn das ganze auch auf eine kleine Fahrt mit der Elektrischen
eingeschränkt geblieben wäre, es wäre doch schön gewesen.
Aber nächste Woche will ich sie belagern, und wenn ich schon von Dir
über Deinen Breslauer Aufenthalt trotz Versprechungen noch nichts
erfahren habe, sie will ich schon zum Reden bringen. Liebste, was ist das
für ein Ersatz Deiner Person! Gerüchte, Reden, Erwähnungen,
Erinnerungen umarme ich statt Deiner und dabei bleibt es.
Damit Du in Deinen Gerichtssachen nicht allein bist, muß ich Montag
wieder nach Leitmeritz zu Gericht. Ist das lästig! Allerdings stört
es mir diesmal keine Geschichte. Nur wollte ich lieber mit einem kleinen
Umweg über Berlin nach dem warmen Süden fahren, wohin Max mit
seiner Frau am Sonntag nachmittag abreist. Wie soll man das aber anstellen?
Franz
Stoessl : Vgl. Anm. S. 156.
übertrieben lobenden Besprechung: Die Rezension
der Betrachtung von Otto Pick in der Bohemia vom 30. Januar
1913. Zu Pick vgl. Anm. S. z85.
Mutter, heute ein gutes Wort! : Dies ist für
Felicens Mutter, die geheime Mitleserin der Briefe, bestimmt. Vgl. Kafkas
frühere Bemerkungen darüber in seinem Brief vom 14. zum 15. Dezember
1912, S. 181.
Letzte Änderung: 4.5.2016 werner.haas@univie.ac.at