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An Felice Bauer

vom 31. [Januar] zum 1 .II. 13
 


Gar keine Nachricht, meine Liebste, im Bureau sagte ich, wenn etwas nachmittag käme, solle man es mir schicken, es kam aber nichts. Gestern gab es zwei Briefe, hätte es sich lieber verteilt! Aber unruhig bin ich nicht; wenn Du so geplagt wirst wie in der letzten Zeit, kannst Du ruhig auch einen Tag auslassen, ich halte Dich in meinem Innern fest und weiß doch von Dir.

Ich bin noch immer verkühlt oder eigentlich nicht verkühlt, sondern habe nur ein, vielleicht zum großen Teil hypochondrisches, aber doch ein wenig unheimliches Kältegefühl über den ganzen Rücken hin, als sei immerfort eine Spritze mit kaltem Wasser gegen mich gerichtet und fände mich, wo ich gehe und stehe. Auch jetzt während des Schreibens im warmen Zimmer, es ist etwas Teuflisches.

Wenn man in solcher Verfassung ist, kann einen nichts lustig machen, als wenn man einen Brief mit solchen Zumutungen bekommt, wie ich ihn heute von Stoessl bekam. Er schreibt auch über mein Buch [Betrachtung], aber mit so vollständigem Mißverständnis, dass ich einen Augenblick geglaubt habe, mein Buch sei wirklich gut, da es selbst bei einem so einsichtigen und literarisch vielgeprüften Mann wie Stoessl solche Mißverständnisse erzeugen kann, wie man sie Büchern gegenüber für gar nicht möglich halten sollte und wie sie nur gegenüber lebenden und deshalb vieldeutigen Menschen möglich sind. Als einzige Erklärung bleibt dass er das Buch flüchtig oder stellenweise oder (was allerdings bei dem Eindruck der Treue, die sein Wesen in jeder Äußerung macht, unwahrscheinlich ist) gar nicht gelesen hat. Ich schreibe hier die betreffende Stelle für Dich ab, seine Schrift ist nämlich ganz unlesbar und wenn Du nach vieler Mühe auch glauben würdest, sie lesen zu können, würdest Du gewiß mit mißverständlichen Deutungen lesen. Er schreibt: "Ich habe Ihr äußerlich und innerlich gleich schön geratenes Buch sofort und in einem Zuge gelesen und mich an der eigentümlichen schwebenden Gehaltenheit und leichten, innersten Heiterkeit der kleinen Denkmäler kleiner, großer Augenblicke sehr erfreut. Es ist ein besonders schicklicher, sozusagen nach innen gerichteter Humor darin, nicht anders, als man nach einer gut durchschlafenen Nacht, nach erquickendem Bad, frisch angezogen, einen freien sonnigen Tag mit froher Erwartung und unbegreiflichem Kraftgefühl begrüßt. Ein Humor der guten eigenen Verfassung. Es könnte keine bessere Bedingung eines Autors selbst, keine schönere Bürgschaft für ihn gedacht werden, als dieser lautere Stimmungsinhalt seiner ersten Sachen." Es bleibt übrigens noch eine Erklärung für dieses Urteil, die ich oben vergessen habe, nämlich die, dass ihm das Buch nicht gefällt, was bei der Mischung seines Wesens leicht zu denken wäre. Der Brief paßt übrigens ganz gut zu einer heute erschienenen, übertrieben lobenden Besprechung, die in dem Buch nur Trauer findet.

Heute abend ist Sophie [Friedmann] gekommen, hätte ich nicht diesen kalt übergossenen Rücken und den "Humor der eigenen guten Verfassung", ich hätte sie sehr gerne von der Bahn geholt. Wenn ich schon keine Nachricht von Dir hatte, hätte ich doch paar Augen gesehn, die Dich wochenlang gesehen haben, auch Dein Name wäre gewiß genannt worden, und wenn das ganze auch auf eine kleine Fahrt mit der Elektrischen eingeschränkt geblieben wäre, es wäre doch schön gewesen. Aber nächste Woche will ich sie belagern, und wenn ich schon von Dir über Deinen Breslauer Aufenthalt trotz Versprechungen noch nichts erfahren habe, sie will ich schon zum Reden bringen. Liebste, was ist das für ein Ersatz Deiner Person! Gerüchte, Reden, Erwähnungen, Erinnerungen umarme ich statt Deiner und dabei bleibt es.

Damit Du in Deinen Gerichtssachen nicht allein bist, muß ich Montag wieder nach Leitmeritz zu Gericht. Ist das lästig! Allerdings stört es mir diesmal keine Geschichte. Nur wollte ich lieber mit einem kleinen Umweg über Berlin nach dem warmen Süden fahren, wohin Max mit seiner Frau am Sonntag nachmittag abreist. Wie soll man das aber anstellen?

Franz

Mutter, heute ein gutes Wort!




Stoessl : Vgl. Anm. S. 156.


übertrieben lobenden Besprechung: Die Rezension der Betrachtung von Otto Pick in der Bohemia vom 30. Januar 1913. Zu Pick vgl. Anm. S. z85.


Mutter, heute ein gutes Wort! : Dies ist für Felicens Mutter, die geheime Mitleserin der Briefe, bestimmt. Vgl. Kafkas frühere Bemerkungen darüber in seinem Brief vom 14. zum 15. Dezember 1912, S. 181.


Letzte Änderung: 4.5.2016werner.haas@univie.ac.at