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1. XII. 12
Liebste Felice, nach Beendigung des Kampfes mit meiner kleinen Geschichte - ein dritter Teil, aber nun ganz bestimmt (wie unsicher und voll Schreibfehler ich schreibe, ehe ich mich an die wirkliche Welt gewöhne) der letzte, hat begonnen sich anzusetzen - muß ich unbedingt Dir, Liebste, noch Gute Nacht sagen, trotzdem ich diesen Brief doch erst morgen abend einwerfe. Ich erschrecke, Liebste, wie ich mich an Dich hänge, es ist sündhaft von mir, sage ich mir immer wieder - mögest Du es, Liebste, niemals sagen - und kann es doch nicht lassen. Ich fürchte, wenn ich bei Dir wäre, ich ließe Dich niemals allein - und doch ist wieder mein Verlangen nach Alleinsein ein fortwährendes - wir würden beide leiden, aber es wäre freilich ein durch kein Leiden zu teuer erkauftes Glück.
Kein Brief, Felice, weder hier, noch im Bureau (ich dachte schon an das Wunder einer gemeinsamen Zerstreutheit), aber es waren eben gerade am Freitag endlose Proben und ich habe durch den allerdings erzwungenen Verzicht auf Deinen Brief auch meinen Anteil an dem Gelingen Eueres Festes. Möchtest Du nur nicht alle Kräfte für die Proben aufgebraucht haben und zum Fest nicht gar zu müde gewesen sein.
Heute nimmt man mir den ganzen Nachmittag weg, Verwandte, eine Vorlesung Eulenberg (kennst Du etwas von ihm?) und sonstige kleine Wege hin und her. Es wird sich nichts ergeben, ich bin zerstreut und die Ausrufe im Nebenzimmer (man stellt das Verzeichnis der Gäste für die Hochzeit zusammen, jeder Name - ein Schrei) machen mich ganz stumpf.
Wie Du wohl Deinen Sonntag verbringst? Mit einem von mir verursachten Schrecken hat er ja glücklich angefangen. Ich mußte den Brief doch expreß schicken, ich konnte mir nicht helfen. Wenn es eine Dummheit war, so verzeih sie mir, wenn es recht war, ist es nicht mein Verdienst. Man weiß nicht, wie man es gut einrichten soll. Schließlich stellte ich mir die Frage, was ich wählen würde, Deinen Brief mit Schrecken und Unannehmlichkeiten oder keinen Brief und Ruhe - da blieb mir natürlich nichts übrig, als auf das Postamt zu laufen. Im übrigen - Du hast jetzt den Brief mit Schrecken, ich habe keinen Brief - wir sind zumindest quitt. Und überhaupt glaube ich, wir sollen uns über verlorene und rasende Briefe hinweg ganz unveränderlich lieb behalten. Wenn es Dir recht ist - mir ist es innerster Befehl. Lebwohl, Liebste, und suche Dich nun zu erholen, ohne Rücksicht auf Geschäft, Familie und mich, strecke Dich auf der Chaiselongue nach Herzenslust, diese Möbelstücke sind zum Faulenzen da, nicht zum Weinen. So meint es wenigstens
Dein Franz
Eulenberg: Der Erzähler und Dramatiker Herbert Eulenberg (1876 - 1949) las am Abend des 1. Dezember im Prager Literarischen Verein "Concordia".
Hochzeit: Valli Kafka heiratete am 12. Jänner 1913.
Letzte Änderung: 17.4.2009 | werner.haas@univie.ac.at |