Voriger Eintrag Jahresübersicht | IndexseiteNächster Eintrag

[An Felice Bauer]
[Prag, 28. November 1912; Donnerstag]

28. XI. 12

Müde, Liebste, wie ein Holzhacker, wage ich Dir dennoch paar Zeilen zu schreiben, weil ich muß. Der Nachmittag ist dem Bureau geopfert worden, ich habe nicht geschlafen und kann daher jetzt nicht mehr schreiben, und mir ihrer gewöhnlichen Hinterlist kommt gerade da die Lust zum Schreiben übermächtig. Weg damit! Werden bessere Zeiten kommen? Felice, mach die Augen auf und laß mich in sie schauen, wenn meine Gegenwart in ihnen ist, warum sollte ich in ihnen nicht auch meine Zukunft finden?
Ich habe übrigens heute auch mit verschiedenen Leuten gesprochen, besonders mit einem Berliner Maler und ich habe bemerkt, dass ich in meiner häuslichen Vergrabenheit vielleicht unvermerkt (mir unbemerkt, nicht Dir, Liebste) möglicherweise ganz ungenießbar geworden bin. Wenn man unter andere Menschen kommt, so ist die erste gute, allerdings nur augenblicklich gute, Wirkung dessen, dass man einen großen Teil seines Verantwortlichkeitsgefühles verliert, mit dem man bei dem doch immer gereizten Verkehr mit sich selbst bis in die Fingerspitzen ausgestattet sein muß. Man fängt zu hoffen an, dass die Lasten, die einem auferlegt sind, vielleicht im geheimen allen gemeinsam sind und daher auch von allen Rücken mitgetragen werden müssen. Falsche, aber schöne Meinungen! Überall sieht man Teilnahme, von allen Seiten eilt man herbei, einem zu helfen und selbst der Widerwillige und Unentschlossene wird unter großer, eigens für diesen Fall aufgewendeter Lebhaftigkeit der ganzen Mitwelt in sein Glück geschoben. Wenn mich Menschen einmal freuen, kenne ich für diese Freude keine Grenze. An Berührungen kann ich mir nicht genug tun; so unanständig das aussieht, ich hänge mich gerne in solche Menschen ein, ziehe den Arm wieder aus dem ihren und stecke ihn dann sofort wieder, wenn die Lust kommt, hinein; immerfort möchte ich sie zum Reden aufstacheln, aber nicht, um das zu hören, was sie erzählen wollen, sondern das, was ich hören will. Dieser Maler z.B. (sein Selbstporträt liegt bei) hat großes Verlangen, sich in innerlich gewiß wahrhaftigen, äußerlich aber ebenso gewiß matten und wie Kerzenlicht auszublasenden Kunsttheorien zu verbreiten. Ich aber wollte (und deshalb war das Einhängen des Armes und das Hin- und Herziehn des armen Malers doppelt nötig) nur davon immer wieder hören, dass er seit einem Jahr verheiratet ist, glücklich lebt, den ganzen Tag arbeitet, 2 Zimmer in einem Gartenhaus in Wilmersdorf bewohnt und andere solche Dinge, die den Neid und die Kräfte wecken.

Gute Nacht.       Franz


Maler: Der in späteren Briefen noch mehrmals genannte Maler und Graphiker Friedrich Feigl (1884 - 1966). Feigl war 1894 ein Jahr lang Mitschüler Kafkas im Altstädter Deutschen Gymnasium.

Letzte Änderung: 17.4.2009werner.haas@univie.ac.at